Evgeny Makarov und Lew Rubinstein
Sieveking Verlag

ISBN 978-3-944874-63-0

600 m² Glück

Evgeny Makarov und Lew Rubinstein - Die Datscha

Dat­scha, die; Substantiv, feminin; russisches Holzhaus, Sommerhaus; russisch dača, ursprünglich (vom Fürsten verliehene) Schenkung. So steht es im Duden.

Doch die Datscha ist mehr als nur ein Sommerhaus, eine Gartenlaube. Die mit der Verstädterung im 20. Jahrhundert populär gewordene Datscha ist eine besondere und ehrliche Welt und zugleich hochlebendig praktizierter, russischer Mythos. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Datscha stammt aus dem 18. Jahrhundert und war eine „vom Zaren zugeteilte Gabe an Grund und Boden“. Die ersten Ferienhäuser wurden an treuen Diener vergeben. Später, in den Jahren nach der Oktoberrevolution, erschlossen sich die Stadtbewohner brachliegende Parzellen als Zweitwohnsitz und die Datscha avancierte immer mehr zum Freiheitssymbol des kleinen Mannes, denn ein Grundstück mit Datscha bedeutete in den „Zeiten der Sowjetunion, als das Leben besonders streng durchnormiert war, einen informellen Rückzugsort, in dem andere Regeln galten“.

Die Größe der Datschen war bis in die 1990er Jahre einheitlich geregelt und betrug 600 Quadratmeter Land, das mit einem Sommerbungalow bebaut werden durfte. Selbst in der DDR war das russische Original ein geliebter Import und die, staatlich vergebenen, Datschen heiß begehrter Zufluchtsort am Wochenende. Im heutigen Russland ist die Datsche vielfältiger geworden. Festere Häuser, aufwendige, mehrstöckige Gebäude mit Banja, Sitztoilette und Dusche oder Bad, ersetzen oft die Leichtbauweise und werden teils ganzjährig bewohnt.

Im Sommer 2015 reist der Fotograf Evgeny Makarov nach Orekhovo, einer Siedlung in der Leningrader Oblast bei St. Petersburg. Es ist der Ort, an dem er die Sommer seiner Kindheit auf der Datscha seiner Großeltern verbrachte. »Nachdem ich irgendwann im Erwachsenenalter die Verbindung dahin verloren hatte, wollte ich immer zurückkehren und sehen, wie es dort nun ist und ob es sich noch mit dem Bild aus meiner Kindheit deckt«, so Makarov. In einfühlsamen und zugleich schonungslos ehrlichen Aufnahmen entführt er in die Welt der Sommer- und Wochenendhäuser der Russen und zeigt, dass die Datscha nicht nur russischer Mythos ist, sondern gelebte Wirklichkeit.

Bis heute entfliehen mehr als drei Viertel der russischen Großstädter an den Wochenenden von Mai bis Oktober in ihre kleinen Erholungsoasen am Stadtrand. Die Datscha ist „bis heute ein Ruhepol des gesellschaftlichen Lebens – und das wird auch so bleiben“ resümiert Makarov und lädt mit seinen im Sieveking Verlag erschienenen Bildband zu Einblicken in einen wesentlichen Bestandteil russischer Lebensart ein. Der russische Dichter und Publizist Lew Rubinstein, der als einer der Begründer des Moskauer Konzeptualismus gilt, liefert den Text zu den sehr nahen und einfühlsamen Fotografien.