Ludwig Thalheimer
FOTOHOF edition

ISBN 978-3-902993-72-4

Costa Rica Time Warp

Alejandro: „Ich mochte es, mit meinen Eltern an den Ständen zu sein, wo sie Messingschmuck verkauften. Zum Jahreswechsel wurde die Straße gesperrt, alle warfen mit Konfetti, meine Mutter schloss den Stand dann erst um drei Uhr morgens. Mit ihrem plötzlichen Tod verloren wir alles. Vater begann zu trinken. Die Familie löste sich auf. Jeder ging seinen Weg.“

Costa Rica, eines der fortschrittlichsten Länder und „Schweiz“ Zentralamerikas, ist seit den 1950er Jahren eine stabile Demokratie und blieb im Gegensatz zu anderen Ländern der Region von Unruhen, Bürgerkriegen und Diktaturen verschont. Etwa sechzig Prozent der Costa-Ricaner leben in Städten, die Arbeitslosenquote beträgt etwa acht Prozent. Viele Kinder und Jugendliche der Armenviertel in der Hauptstadt San José sind in kriminellen Straßenbanden organisiert, Raub und Drogenhandel spielen eine große Rolle.

Präsident Luis Alberto Monge verkündete 1983 angesichts damaliger bewaffneter Konflikte in benachbarten Ländern seine „dauerhafte und aktive unbewaffnete Neutralität“. Drei Jahre später bereiste der Bozner Fotograf Ludwig Thalheimer das Land zwischen den Ozeanen. Entstanden waren dabei eine Menge an Bildern von Kindern und Jugendlichen, die Thalheimer an öffentlichen Orten traf, auf den Straßen, wo sie Zeitungen verkauften, Autos wuschen oder in den Verkaufsständen ihrer Eltern mithalfen. Es sind Kinder, die auf den Straßen ihre Zuflucht suchten, oder auch solche, die in behüteten Gated Communities aufwuchsen. Sie erzählten dem Fotografen von ihrem Leben, ihren Wünschen und ihren Träumen für die Zukunft.

Maria: „Die Bilder sind von 1986, da war ich zehn. Ich verkaufte Zeitungen von fünf Uhr früh bis abends um sechs. Ich wäre gerne weiter zur Schule gegangen, ein Jahr mehr und ich hätte den Abschluss gehabt. Das wollte Vater aber nicht. Mein Leben wurde besser als erwartet. Es ist ein gutes Leben, ich habe ein Zuhause und fühle mich geborgener als in meiner Kindheit. Mein Mann und meine Kinder waren für mich da, als Vater starb. Er war Alkoholiker, auch Mutter, ich pflegte ihn, so wie jetzt meine Mutter, die wegen mehrerer Hirnschläge ans Bett gefesselt ist. Die Bilder geben mir schöne Erinnerungen, aber das Leben war hart. Im November werde ich Carlos Eduardo heiraten, mit dem ich seit 24 Jahren zusammen bin.“

Ludwig Thalheimer streift durch die Straßen von San José, begegnet Kindern mit denen er ins Gespräch kommt, ihr Vertrauen gewinnt und ihre Geschichten und Fotografien. Der Bozner konzentriert sich nicht auf die touristischen Schönheiten des Landes, sondern auf dessen Zukunft. Er fotografiert die Kinder, die den ganzen Tag auf der Straße arbeiten und damit ihre Familien ernähren müssen, wie die in den reicheren Vierteln. Herausgekommen ist ein charmantes Buch, welches ebenso viel über die Menschen von Costa Rica erzählt wie über den Fotografen hinter der Kamera. Mit seinen Aufnahmen gelingt es Thalheimer, tief einzusteigen und Emotionen bei seinen Modellen wie beim Betrachter und Leser zu wecken.

Jorge: „Ich hatte nie ein Foto von mir als Kind. Alle haben Fotos von sich, von der Familie, nur ich nicht. Wenn jemand Geburtstag hatte, war ich nie da, ich war immer auf der Straße.“

Nach über 30 Jahren wollte Ludwig Thalheimer wissen, was aus den Kindern von damals geworden ist. 2017 machte er sich auf die Suche nach ihnen, um sie wiederzufinden. Der Fotograf verschickt hunderte Mails, knüpft Kontakt zu Journalisten und „hatte einfach Glück“. Der für seine ungewöhnlichen Bücher bekannte Salzburger Fotohof Verlag präsentiert mit „Costa Rica Time Warp“ eine faszinierende Zeitreise, ungeschminkt fotografiert und mit berührenden Einblicken in sehr individuelle Lebensgeschichten.