EGERLAND 2 von 2
OBLATEN, FRANZBRANNTWEIN UND KLARE GEBIRGSLUFT
Karlsbad

Einer der berühmtesten und traditionsreichsten Kurorte der Welt, wurde im August 1370 aufgrund seiner heilenden Quellen durch den deutsch-böhmischen Kaiser Karl IV. zur Königsstadt erhoben.

In Meyers Konversationslexikon von 1898 ist über die Kur in Karlsbad zu lesen: „Man trinkt des Morgens 3-6 Becher und gebraucht sowohl Mineralwasser- und Dampfbäder als auch mit vielem Erfolg Moorbäder, zu denen die Schlammerde dem Franzensbader Moorlager entnommen wird. Von Wichtigkeit sind auch die Quellenprodukte von Karlsbad und zwar das Sprudelsalz, welches durch Abdampfung der Sprudelquelle … gewonnen wird.

Heute sind viele Teile der ehemals deutschen Kurstadt durch russische Fördermittel und Privatleute restauriert. Neben der tschechischen Schrift dominieren kyrillische Anzeigen und Presseausgaben das Stadtbild.

Presselandschaft

Die tschechische Presselandschaft ist seit den Wendejahren ebenso bunt und polarisierend geworden wie in der ehemaligen DDR. Selbst die Hochzeit im englischen Königshaus schlug Wellen wie in den deutschen Medien.

"Dr Nochbor Seff“ schrieb seine Berichte immer in der heimatlichen Mundart. Ich habe den Bezug zur Sprache meiner Altvorderen behalten, auch wenn ich selbst den Dialekt nicht spreche und das immer mehr bedauere. Seff, den ich selber leider nie persönlich kennenlernte, grüßte in jedem seiner Briefe „Meine liem Nochborsleit!“ Erst nach der politischen Wende 1989 durfte über die Heimat gesprochen werden, dass man aus Posen, Kempen oder Breslau stammte, aus Klösterle und Leskau vertrieben wurde. Treffen ehemaliger Nachbarn waren bis 1989 verboten, als revanchistisch verschrien und von der Staatsmacht argwöhnisch beobachtet. 1991 sagte Jugl: „Es gibt keine Kollektivschuld. Ich war auch nach der Vertreibung voller Hass. Aber nun nicht mehr. In unsere Heimat sind Menschen gesetzt worden, die ihre eigene Heimat gefunden haben, auch ihre Kinder sind hier aufgewachsen. Wir möchten nicht, dass Ihnen das gleiche wiederfährt wie uns. Doch es ist wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern, sich ihrer bewusst zu sein.“

Bis heute belastet die Vertreibung das Verhältnis zwischen Deutschland und Tschechien. Erst seit einigen Jahren stellt sich, in erster Linie eine junge Generation tschechischer Historiker und Journalisten, kritisch dem über Jahre propagierten Geschichtsbild vom selbstverschuldeten Sudetenland. Diese gesunde Selbstkritik würde auch vielen deutschen Politikern gut stehen. Im November 2010 beschäftigte sich die deutsch-tschechisch-österreichische Co-Produktion „Habermann“ von Juraj Herz als erster Spielfilm, den Deutsche und Tschechen zusammen drehten, zum ersten Mal mit dem „dunklen Kapitel der Sudetenvertreibung“. Der auf wahren Begebenheiten beruhende Film wurde bereits im Januar 2010 mit zwei Bayrischen Filmpreisen ausgezeichnet. „Die Entspannungspolitik der Gegenwart hat mittlerweile zwar Früchte getragen, von einer endgültigen Aufarbeitung des Themas kann aber leider noch keine Rede sein.“, heißt es im Pressetext zum Film.

Historisch gesehen kamen die ersten deutschsprechenden Siedler im Zuge des Landesausbaus ab dem 13. Jahrhundert nach Böhmen, Mähren und Schlesien und trugen Wesentliches zur Kultur der böhmischen Länder bei. „Mit neuen landwirtschaftlichen Geräten und Methoden machten sie die kargen Randgebirge urbar, die noch unbesiedelt waren. Ihre Fertigkeiten erschlossen den Holzreichtum und die Erzvorkommen. Die böhmischen Könige gründeten zahlreiche Städte nach Magdeburger und Nürnberger Stadtrecht, in denen deutsches Bürgertum eine prägende Rolle spielte. Böhmen wuchs ohne Rücksicht auf Sprache und Nation dem mitteleuropäischen Kulturraum zu und bildete eines von mehreren gleichberechtigten Zentren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Vor allem die Zeit nach dem 30jährigen Krieg prägte bis heute das Bild der Städte und Märkte im ganzen Land. Der Reichtum des Adels und der Klöster machte das Königreich Böhmen zu einem Zentrum barocker Baukunst.“ (Verband der Sudetendeutschen)

Die Landschaft ist südlich des hohen Erzgebirgskammes lieblich. Nur wenig erinnert hier trotz der teils bis zu 900 Meter hohen Berge des Duppauer Gebirges an die tiefen und dunklen Täler des sächsischen Erzgebirges. Die Eger, die im Fichtelgebirge entspringt und bei Litomerice/ Leitmeritz in die Elbe mündet, schwingt sich hinter Karlovy Vary/ Karlsbad breit und gemütlich bis Kadan/ Kaaden durch das Egergraben genannte Engtal, welches das Erzgebirge vom Duppauer Gebirge trennt. An dessen Stelle stand früher ein etwa 2000 Meter hoher, dem Ätna vergleichbarer Vulkan, der bei einem Ausbruch explodierte und dessen Aschekegel im Laufe der Jahrhunderte abgetragen wird. Sein Krater ist der Duppauer Kessel. Wegen seiner natürlichen Beschaffenheit war das Gebiet das am dünnsten besiedelte in Böhmen. Etwas mehr als 15.000 Deutsche lebten verteilt auf 17 Gemeinden auf dem Hochplateau, von Viehzucht, Obstbau und Leineweberei. Nach der Vertreibung blieb das Gebiet sehr schwach besiedelt. Die tschechoslowakische Regierung nutzte diese Situation während des Kalten Krieges und richtete einen Truppenübungsplatz in dem Gebirge ein. Bis 1955 wurden die letzten Bewohner ausgesiedelt und das Duppauer Gebirge zur militärischen Sperrzone; nach 1960 wurden „in Manövern die ehemalige Stadt Duppau sowie leerstehende Dörfer als Zielobjekte für den Beschuss und die Bombardierung durch die Land- und Luftstreitkräfte dem Erdboden gleichgemacht.“ 1991 existierten von vormals über 2.200 Gebäuden nur noch 102 Häuser, in denen 616 Menschen lebten.

„Of de Barg, do is halt lustig,/ of de Barg, do is halt schie/ Do scheint de Sonn an allererschten,/ scheint se aah an längsten hie./   Wu de Wälder haamlich rauschen,/   wu de Haad su rötlich blüht,/ mit kann König mächt ich tauschen,/ weil do drum mei Haisel stieht!“ (Wu de Wälder haamlich rauschen, Anton Günther)

Es muss an der reinen Gebirgsluft, Slibowitz und Geselligkeit liegen, dass die Menschen der Region alt werden. Herr Friedrich, der als junger und schneidiger Mann in den letzten Kriegstagen einberufen wurde, seine erste Frau heiratete, weil er Mitleid mit ihr hatte und seine zweite Frau acht Monaten zuvor verloren hatte, erzählte mir bei einem Glas Gambrinus von seinem Leben in der Tschechoslowakei. Friedrich stammte aus dem Riesengebirge, war bei seinen Großeltern aufgewachsen und nach der Heirat nach Klösterle gezogen. Seine Großeltern waren nach 1945 enteignet worden und mussten das Haus, in welchen bereits die Vorfahren lebten, verlassen. Sie mussten die Heimat nicht verlassen und bezogen das Nachbarhaus. Nach der Wende kaufte ein Prager Arzt die Immobilie und baute sie zum Wochenenddomizil um. Friedrich klingt wehmütig; mit seinen 86 Jahren und der verlorenen Heimat nicht zu verwundern. Er schaut trotz allem zufrieden und leise zurück. „Auch wenn ich bereits einen meiner Söhne verloren habe, so schaut doch meine Tochter jeden Tag nach mir. Und jetzt brauche ich keine Rücksicht mehr nehmen und ungestört meiner Leidenschaft nachgehen.“ schmunzelt der Philatelist.

Rudi Höll, der mit einem Freund 1945 vom böhmischen Sosau ins benachbarte Sachsen geflüchtet war, konnte immer noch jede Einzelheit jener Tage beschreiben. Der ehemalige Deutschböhme, der zu DDR-Zeiten an der Polizeischule Aschersleben studiert hatte, fand nach der politischen Wende zu seinen Wurzeln zurück. Seit einigen Jahren berichtet er akribisch im Kaadner Heimatbrief über Geschichte und Geschichten der der verlorenen Heimat. Marie Ott, die sich nach der Vertreibung aus dem Elternhaus eine neue Heimat an der innerdeutschen Grenze aufbaute, hat hingegen mit den alten Zeiten endgültig gebrochen. Die rüstige 85jährige Frau stand immer mit beiden Beinen fest im Leben, doch „In Klösterle liegt seit 1945 mein Sparkassenbuch. Da brauch‘ ich auch nicht mehr reinzufahren.“

Im Sportlerheim der Klösterlischen Eishockeymannschaft, Mila Kral zeigte mir als ehemaliger Trainer voll Stolz die zahlreichen internationalen Pokale seiner Schützlinge, besuchte uns der ehemalige Bürgermeister von Klösterle. Der Tscheche bekleidete das Amt über viele Jahre und setzte den offenen Dialog seines Vorgängers fort. Es war ein persönliches Zeichen, welches der jugendlich wirkende Mittfünfziger setzte, als er die letzten Deutschböhmen am ersten Abend besuchte. Das die Stimmung jedoch aufgewühlt blieb, lag nicht nur an den alten Erinnerungen, sondern an einer Gedenktafel, die „Zum Gedenken der Opfer der Weltkriege und der Vertreibung.“ Am alten Kriegerdenkmal eingeweiht werden sollte. Dietmar Hübler, der seit einigen Jahren als Ortsbetreuer von Klösterle die Kontakte zwischen Tschechen und Deutschen aufrecht erhält, erläuterte die Verstimmung. „Der von uns im letzten Frühjahr der Stadtverwaltung Klösterle unterbreitete Textvorschlag für die erweiterte Gedenktafel am Kriegerdenkmal auf dem Friedhof ist bedauerlicherweise von der Stadtverwaltung ohne vorherige Rücksprache abgeändert wurden. Nun ist auch die Gedenktafel vor dem Wintereinbruch etwas voreilig angebracht wurden. Der ursprüngliche Text der Ortsbetreuung“ wurde in „Zum Andenken der Opfer des II.Weltkrieges und der Aussiedlung“ abgeändert. „Versöhnung und gute nachbarschaftliche Beziehungen setzen die gegenseitige Anerkennung der geschichtlichen Wahrheit voraus.“ Es sind die Worte, die beiden Seiten zusetzen. Den Tschechen ist „Vertreibung“, vor dem Hintergrund der als Benesch-Dekrete bekannt gewordenen Erlässe, nicht genehm; den Deutschen die „Aussiedlung“ zu beschönigend. Die nach wie vor rechtskräftigen Dekrete, hauptsächlich Nr. 5/1945, Nr. 12/1945, Nr. 33/1945, Nr. 71/1945 und Nr. 108/1945, sind seit Jahrzehnten der Hauptstreitpunkt zwischen Tschechen und deutschen sowie österreichischen Vertriebenenverbänden. Die Politiker legten in der Deutsch-Tschechischen-Erklärung von 1997 ihre Standpunkte fest. Den Klösterlischen geht es um Worte und Anerkennung. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Den Friedhof meiner Vorfahren gibt es schon lange nicht mehr. Er wurde zerstört, die Grabsteine umgerissen und planiert. Die verbliebenen Zeugen der deutschen Besiedlung Böhmens wie Urkunden, Personenregister und Ortsnamen wurden mit tschechischen Endungen versehen oder gänzlich umbenannt. Es bleibt nur zu wünschen, dass sich die dritte Generation annähern kann. Wie sagte „dr Nochbor Seff“: „Es gibt keine Kollektivschuld. Ich war auch nach der Vertreibung voller Hass. Aber nun nicht mehr.“

(Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung, 21.Januar 1997)

Artikel II: Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat. Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist.

Artikel III: Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert darüber hinaus, daß es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und daß infolge dessen diese Taten nicht bestraft wurden.

Artikel IV: Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.

Egerburg bei Leskau

Die alten Wehrfesten künden seit Jahrhunderten als Ruinen von der teutschen Besiedlung des böhmischen Erzgebirges.

Schönburg und Klösterle

Aus der alten Benediktinerprobstei wuchs über Generationen eine Kleinstadt mit Schloss und regional bekannter Porzellanmanufaktur.

Straßenstrich

Nach der kommunistischen Implosion nahm die Prostitution besonders in den tschechischen Grenzbezirken massiv zu. Nach dem Fall der europäischen Grenzen verlagerte sich das Milieu einige Kilometer ins Landesinnere.

Egerländer Marienwallfahrt

In der Nähe von Sokolov liegt die Wallfahrtskirche Maria Kulm, die über Jahrhunderte Pilgerort war.

Deutschböhmen

Die letzten, im Sudentenland geborenen, Deutschböhmen treffen sich jährlich in der verlorenen Heimat. Doch ihren Kindern selbst sind die gemeinsamen Wurzeln nur selten bewußt.

Marktplatz Saaz

Das heutige Zatec wurde erstmals 1004 in der Chronik des Thietmar von Merseburg erwähnt, als der deutsche Kaiser die slawische Burg von der polnischen Besetzung befreite. Im Juni 1945 befahlen tschechoslowakische Soldaten etwa 5.000 deutschen Männern, sich auf dem Marktplatz zu versammeln und ließen sie in das nahe Postelberg marschieren. Es wird angenommen, dass dort etwa 2.000 Zivilisten erschossen wurden.