Tanz- und Folkfestival Rudolstadt
SCHRÄGE TYPEN UND BEBENDE HÜFTEN IM SAALETAL 2004

Das heißeste Erlebnis zwischen Atlantik und Ural, der experiemtierfreudigste Sound finnischer Sägen und mongolischer Zithern fand zum 14.Mal im thüringischen Rudolstadt wieder zahlreiche Tanzfreaks, Nostalgiker und überraschte „Ersttäter“ friedlich beieinander. Bei strömenden Regen, brennenden Sonnenstrahlen und kühlen Getränken wurde in friedlicher Atmosphäre das deutsche „Serienwoodstock“ gefeiert. Zwischen den hohen Tönen der Heidecksburg mit dem romantischen Blick ins Saaletal, der schönen Stadtkirche „St.Andreas“ mit ihrer beeindruckenden Akustik und dem weiträumigen Areal des Heineparks war für jeden (Musik)Geschmack etwas dabei. Und wenn nicht, so musste man einfach auf den Geschmack kommen. Unweigerlich und ganz ohne Zwang. Doch so sehr es unmöglich war, sich dem ganz eigenen Folkzauber zu entziehen, so sehr war Erholungsurlaub nach dem Festival notwendig.

„Komm doch endlich mal zum Festival“. Die Worte eines befreundeten Rudolstädters klangen mir schon vor einigen Jahren in den Ohren, als das Festival unter neuvereinten deutschen Bedingungen laufen lernen musste. Doch ein Tanzfest? Polka und Märsche, Heimat- und Trachtengruppen in der ehemaligen thüringischen Fürstenresidenz? Mir schien das schon damals suspekt. Nicht mein Fall. Als jedoch im letzten Jahr plötzlich Freunde aus verschiedenen (ost- und westdeutschen) Bundesländern vom Festival schwärmten, wurde ich neugierig. „Vielleicht ist ja doch was dran am FestivalHype. Schauen schadet nichts.“ Das liebevoll aufgemachte Programmheft versprach einiges. „Mittelalterliche Balladen, Beduinentänze, jazziges aus der Mongolei, Tanzmusik aus den östlichen Beitrittsgebieten“. Doch Zitherklänge und Blechblasinstrumente? Die Worte allein schienen schon abzuschrecken und den Geist eingestaubter Musikantenstadel heraufzubeschwören. Aber um es gleich vorwegzunehmen. Langweilig wurde es nie. Im bevorstehenden Olympiafieber legten die Veranstalter den diesjährigen Länderschwerpunkt auf Griechenland. Auch wenn es „einen Sirtaki … noch niemals nicht gegeben“ hat und das Griechenland-Klischee allein Anthony Quinn zu verdanken ist; im Jahr 2004 stand der Rand Europas und der griechische Sound im Mittelpunkt. Zugegeben, mit dem Sieg der griechischen Europaelf s t e h t der Rand noch in der Mitte. Bereits am Donnerstagabend heizte das Hippiekind Heather Nova auf der Heidecksburg das 14.TFF an. Einen Freund im Schlepptau, kamen wir am Freitag bei herrlichem Sommerwetter in Rudolstadt an. Warteschlange, Zeltaufbau und fix in den Trubel stürzen, den Menschenmassen hinterher. Nicht nur die ganze Stadt war auf den Beinen. Die ganze Welt war in der Stadt. Auch die Hooters am Freitag auf der großen Bühne des Heineparks. Im Angesicht Zeus’ kochte und brodelte es am Saalebogen. Die ungeheure Leichtigkeit des Tanzens, traditionelle Musik und Experimente. Besonders die Blechinstrumente verströmten ihr ganz eigens Flair. Unmöglich, alle herrlich verrückten Variationen an diesem Wochenende zu erleben. Gutes Organisationstalent und leichte Füße waren vonnöten, um vom griechischen Fiedelphilosophen Psarantonis auf der Heidecksburg zu den mongolischen Jazzklängen im Theater hinunter zu tanzen. Doch den weiten Wegen war es zu danken, dass sich 120.000 Beine (Angaben lt. Veranstalter) nicht gegenseitig auf selbige traten.

Es lag eine besondere Atmosphäre über der Stadt. Weit ab von gängigen Musiktrends und im wohltuenden Gegensatz zum Mainstream war Rudolstadt Balsam für die gemarterte Musikseele und ein Segen für das Gemüt. Bis in die Morgenstunden steppte der Bär und – mit den Reihen- und Kettentänzen als „Tanz des Jahres“ – die Festivalbesucher zwischen 2 und 82 Jahren. Das Alter schien aufgehoben. Im Tanzzelt zappelten und kreisten bereits am Samstagmittag die ersten Beine. Später am Abend, nach einem Musikmarathon, spielten die „Cercle Celtique Bellen Brug“ im Stadthaus und die Engländer von „Red Dog Green Dog“ im Tanzzelt auf. Spätestens bei „Dikanda“ aus Polen wanderte der Rucksack in die Ecke und schwangen und kreisten die Hüften. Der Rhythmus kam, selbst bei den unrhythmischsten Zeitgeistern, zwangsläufig. Herrlich auch, dass Traditionen wie durch die Lokalmatadoren des Thüringischen Folkloretanzensemble auf dem Markt weitergelebt wurden. Und mir nach Jahren wieder die Hoffnung gaben, dass ein Tanzfestival etwas Schönes sein kann. Fast schon routiniert, wie mir Freunde bescheinigten, und doch wieder einzigartig, hob sich das Festival selbstbewusst ab von anderen musikalischen Events. Ausgelassen und vollkommen friedlich. Apropos. Ungekrönter jährlicher Themenschwerpunkt war und ist das regnerische Festivalwetter am imaginären ersten Juliwochenende. „Das ist schon Kult“, grinste mich eine Freundin an. Sie sollte Recht behalten. Die Vorteile der sporadischen Regengüsse lernte ich bei den „Querschlägern“ im Handwerkerhof kennen, als die Leute vor dem Nass Zuflucht suchten – und näher zusammenrücken. Eine herausragende Eigenschaft des Festivals, wie ich finde. Lassen sich doch auch so – neben der Musikvielfalt – enge Bekanntschaften knüpfen.

Noch einige Fakten zum Festival. Ein Wermutstropfen bleibt immer. Es ist unmöglich alle Musiker zu sehen. Unmöglich, zwischen Heidecksburg, Markt und Heinepark hin und her zu beamen (oder ich habe die letzte Ausgabe der „Wissenschaft und Technik“ verpasst). Utopisch, bei über 20 Bühnen gleichzeitig zu sein. Kribbelnd, den Charme von 31 Straßenmusiker zu spüren. Peinlich, die Preisverleihung des deutschen Folk & Weltmusikpreis RUTH an „Hiss“ (Deutsche Ruth 2004), Wu Wie aus der südostchinesischen Provinz Jiangsu (Globale Ruth 2004) zu verpassen. Oder an das multikulturelle Ensemble von „Yalla Babo Express Orchestra“ (Newcomer Ruth 1) und die in Berlin lebende Zoriya (Newcomer Ruth 2). „Apropos Rudolstadt“. Köstlich, noch auf dem Heimweg, Rudolf Herzer’s „Hoch Heidecksburg“ auf der dem Programmheft beigelegten CD hoch und runter zu spielen. Leider war meine gute Stimmung am Sonntagmorgen recht schnell dahin, als ein etwas übereifriger Mitarbeiter der „Black Guards“ – Sicherheitstruppe seinen Sicherungsauftrag zu ernst nahm und mir seinen Erfolge im Fitnessstudio drohend näher bringen wollte. Wenn Du dies hier lesen solltest, „old boy“: „Take it easy“, für unkontrollierte Kräftespiele ist das Festival einfach zu friedlich und schön! Was bleibt da nur zum Abschied? Die Vorfreude auf das Wiedersehen. Oder besser auf das Wiedererleben. Denn das Festival im rhythmisch kochenden Saaletal muß man erlebt haben.

TFF Rudolstadt

Das "1. Fest des deutschen Volkstanzes" beschwor im Jahr 1955 noch die deutsche Einheit und war Auftakt eines der vermutlich langlebigsten Musikveranstaltungen der Welt. Nach dem Mauerbau vegetierte das "Fest des Liedes und Tanzes auf Kreisebene" vor sich hin, fand nur alle zwei Jahre statt und lud in den eisernen Jahren in erster Linie seine sozialistischen Brüder und Schwester zum Tanzen ein. Nach den Wendejahren einigte man sich auf das "Tanz-&Folkfest" und "wer wagt, hat immerhin die Aussicht zu gewinnen".

Länderschwerpunkt

Griechenland

Magisches Instrument

Zither

Tanz des Jahres

Reihen- und Kettentänze

Tanzfest

Traditionelle Tänze und Brauchtum werden neben internationaler Folkmusik immer großgeschrieben.