GROSSBRITANNIEN
LINKSVERKEHR, ROBIN HOOD UND SCHOTTENRÖCKE
Royal Mile, Edinburgh

Seit dem Act of Union 1707 gehört Schottland dem britischen Königreich an. Die Royal Mile zwischen der alten Festungsanlage und dem Holyrood Palace bildet seit Jahrhunderten das "Rückgrad" und Zentrum der schottischen Hauptstadt.

Der schottische Nationalstolz ist sprichwörtlich und auch oft gefürchtet. Doch treten Rauheit und das berüchtigte Schlägertum aufgrund der engen britischen Verhaltensregeln überall auf der Insel in Erscheinung. Sicher sind diese jedoch eher in den sozialen Brennpunkten Großbritanniens anzutreffen.

Presselandschaft

Die "Yellow Press" hat ihren Ursprung im britischen Königreich. Was in Deutschland "BILD" oder "GALA" sind, schlägt sich in den zahllosen "Regenbogenjournalen" wider.

Großbritannien hatte ich immer mit den Beatles verbunden, mit schlechtem Wetter und Robin Hood. Später sollten noch Mr. Bean und Monty Python hinzukommen. Im Frühjahr 1997 allerdings wollte ich mir ein eigenes Bild von fish and chips machen. Ich wollte sehen, was vom Sherwood Forest übriggeblieben war und wie es ist, im Linksverkehr Karte zu lesen.

Von meiner ursprünglichen Idee, stilecht mit meinen Trabant 601 die 5.000 Kilometer lange Strecke zu erfahren, verzichtete ich zugunsten eines Opels Kadett. Im belgischen Ostende schiffte ich mich auf die Fähre nach Großbritannien ein und landete nach einigen Stunden Fahrt im abendlichen Ramsgate. Während ich noch im Hafengelände den vorausfahrenden Fahrzeugen folgen konnte, musste ich mich bereits in den engen Gassen der Stadt auf den ungewohnten Linksverkehr einstellen. Ich fand glücklicherweise unfallfrei aus der kleinen Hafenstadt heraus und folgte einem Lastwagen in nördlicher Richtung. Als er nach wenigen Kilometern abbog, war ich allein auf der dunklen Landstraße, fuhr einige Male in verkehrter Richtung in den Kreisverkehr hinein und suchte mir bald eine einfache Übernachtung am Wege. Ich gewöhnte mich jedoch in den nächsten Tagen schnell an den Verkehr; überholte nur im äußersten Notfall und entwickelte eine gewisse Sympathie für das Außergewöhnliche meiner britischen Fahrweise.

Ich machte in Canterbury einen kurzen Stop, sah mir die Kathedrale an, die neben anderen Grablege von Edward of Woodstock und Heinrich IV. ist und probierte meine ersten fish and chips. Über das einzige britische „Nationalgericht“ ist indessen so viel berichtet worden, dass ich mir hier einer ausführlichen Beschreibung enthalten möchte. Das durchfrittierte Etwas sollte nicht meine Leibspeise werden. Obwohl Canterbury in den Bombenangriffen des 2.Weltkrieges stark zerstört wurde, blieben viele historische Gebäude erhalten und mit ihnen der mittelalterliche Charakter des Stadtkerns. Ich sollte einige Jahre später in die Stadt zurückkommen und zusammen mit Antje und Stefanie durch die Canterbury Tales streifen.

Um London machte ich einen weiten Bogen. Ich verspürte wenig Lust auf den Großstadtverkehr und nahm mir vor, die Themsestadt mit ihrem Buckingham Palace, Tower und Piccadilly Circus zu einem späteren Zeitpunkt zu erkunden. Ich nahm direkten Kurs auf Cambridge, während ich auf meiner zweiten Britannienreise die Ostküste mit seinen Industrieorten und heruntergewirtschafteten Küstenbädern wie Southend-on-Sea besuchte.

Großbritannien hielt sein Klischee vom verregneten Eiland. Vor Cambridge, eine der ältesten und angesehensten Universitätsstätte der Welt, zogen die ersten Wolken auf, die in den folgenden Tagen nicht mehr verschwinden sollten. Cambridge empfing mich bewölkt und erhaben. Möglicherweise mag der Vergleich hinken, aber irgendwie erinnerte mich die Stadt an das vertraute Provinzkaff Köthen. 1209 durch den Auszug von Dozenten und Studenten aus Oxford gegründet, hält die alte Rivalität zwischen den beiden Unistädten noch heute an und findet ihren jährlichen Höhepunkt im „Boat Race“ auf der Themse. Mehr als andere Universitäten brachte Cambridge Nobelpreisträger auf die Welt.

In den East Midlands hielt ich Ausschau nach Bruder Tuck und Lady Marian. Doch die Landschaft hatte sich ebenso gewandelt, wie die Legende von Robin Hood alt war. Der bekannteste Abenteurer und mittelalterliche Gesetzlose schrieb mit seinen Gefährten in den Wäldern des nahen Sherwood Forest Geschichte. Der Wald fiel jedoch der Industriegeschichte zum Opfer; die Helden stehen heute als Bronzestatue vor dem Schloss.

Inzwischen hatte ich mich mit dem Nieselregen arrangiert. Einige Meilen nördlich von Leeds begannen immer dichter werdende Nebelbänke, die mich bis Edinburgh begleiten sollten. Die Straßen wurden immer schmaler und von den typischen, sich endlos streckenden Steinmauern eingeengt. Trotz des geringen Gegenverkehrs musste ich mich ziemlich auf die Straßen konzentrieren. Ab und an leuchteten gelbe Rapsfelder durch den Nebel. Ich überquerte die Reste des Hadrianwalls und befand mich plötzlich in Schottland. Südlich des Northumberland Nationalparks fand ich einen kleinen Zeltplatz in Bellingham. Einige Schafe blökten sich auf der nebenanliegenden Wiese an und ich blieb der einzige Camper in dem von dichten Nebel und leichten Niesel durchsetzten Nest. Eine Pfanne gebackener Bohnen mit Brot und ein Guinness später ließ ich den Niesel generös gegen die Zeltwand trommeln und las im Reiseführer die Hintergründe des Hardianwalls aus der Sicht des Römers Cassius Dio. „Hadrian begab sich (im Jahre 122 A.d.R.) nach Britannien, auch hier ordnete er viele Verbesserungen an, er errichtete eine Mauer von über 80 Meilen Länge, um die Römer von den Barbaren zu trennen.“ Über die anhaltenden und ermüdenden Schlachten schrieb der als Lucius Cassius Dio Cocceianus geborene Senator: „Größte Bedeutung aber hatte sein (gemeint ist der römische Kaiser Commodus, A.d.R.) Krieg in Britannien. Die Stämme auf der Insel überschritten nämlich die Mauer, die sie von den römischen Heerlagern trennte, begingen zahlreiche Gewalttaten und machten einen Feldherrn mitsamt seinen Leuten nieder.“

In Edinburgh machte der Niesel eine kurze Pause. Ich ließ meinen Opel unweit vom Calton Hill stehen und verschaffte mir einen ersten Überblick über die schottische Schönheit von Nelsons Monument aus. Der Firth of Forth lag ebenso zum Greifen nah, wie das Edinburgh Castle und die alte Neustadt. Ich schlenderte die Royal Mile hinauf zum Schloss, welches in späteren Jahren noch öfter besichtigen sollte. Zum ersten Mal versuchte ich mich am schottischen Haggis, welches mir nicht ganz so schlimm erschien, wie sein Ruf war. Da es sich bei Haggis um Schafsmagen handelt, der mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird, ist das Essen eben auch „nichts für Zartbesaitete“, wie bereits der schottische Kochbuchautor Paul Harris 1988 schrieb.

Der wolkenverhangene Himmel holte hinter Edinburgh seine Pause nach und schüttelte allen Regen herunter. Das mittelalterlich wirkende Stirling erreichte ich am späten Nachmittag. Über die Stirling Bridge fuhr ich hinüber zum 1869 errichteten Wallace Monument und bestaunte, ganz in Anbetracht des wenige Jahre zuvor erschienenen Hollywoodstreifens „Braveheart“ den mächtigen Zweihänder, mit dem der schottische Nationalheld der Legende nach 50 berittene Soldaten nacheinander getötet haben soll.

Zugegebenermaßen sympathisierte ich mit den schottischen Dickschädeln nicht nur aufgrund ihrer herzhaften Whiskys. Mir gefiel ihre offene und direkte Art, welche ich später in Sandra und Gordon schätzen lernte. Das jedoch alles zwei Seiten hat, war mir damals noch nicht bewusst. K. erzählte mir später von ihren schottischen Erfahrungen, den britischen Neurosen und gesellschaftlichen Zwängen, die sich in wüsten bis hin zu brutalen Verhalten entladen können.

Die Landschaft war inzwischen rauer und ursprünglicher, eben schottischer geworden. Im stark verregneten Inverness ließ ich meine ursprüngliche Idee nach Ullapool oder gar bis zu den Orkneys zu fahren, fallen, bog südwestlich auf die A82 und fuhr am schmalen Loch Ness entlang. Nessie schien auch nicht fiel vom Wetter zu halten und hielt sich bedeckt. Die zahlreichen, schmalen, ehemals von Gletschern geformten Seen ziehen sich dicht gedrängt über das schottische Hochland. Loch Lochy, Loch Arkaig, Loch Eil, Loch Houm oder Loch Nevis. Einige von ihnen liegen verkehrsgünstig gelegen. Andere wiederum sind nur über schmale Wanderpfade zu erreichen. Ein alter Studienfreund war von der schottischen Rauheit so sehr fasziniert, das er fast jedes Jahr für einige Wochen zum Wandern hierherkam und sich besonders die Westküste individuell erschloss.

Südlich vom Loch Leven fand ich einen wild-romantischen Zeltplatz in der Nähe des vier-Häuser-Nestes Bridge of Orchy. Inzwischen schien Petrus ein Erbarmen mit mir zu haben und ich erreichte Loch Lomond bei herrlichem Sonnenschein, der auch in den folgenden Tagen anhalten sollte. Ich lernte einige skurrile Typen kennen und freundliche Menschen, die neugierig auf den Deutschen waren, der sich in einem holprigen Englisch unterhielt. Die engen walisischen Straßen erschreckten mich ebenso wenig wie die zahlreichen Viehtriebe. Antje hatte im Jahr zuvor ein Stipendium in Swansea erhalten, war aber in der Zwischenzeit wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Doch der zerschlissene, rosa Plüschsessel stemmte sich auf der schmalen Terrasse immer noch gegen die Jahreszeiten. Antjes Freund fand genügend Sujets, um das britische Alltagsleben zu karikieren. Augenscheinlich war er von den Widersprüchen ebenso fasziniert wie von der skurrilen britischen Lebensart und begann einen Job bei einem britischen Triebwerksbauer. Ich selbst begegnete der britischen Realsatire in manchem Bed and Breakfast und auf Campingplätzen. Über Oxford und Bath fand ich den Weg zurück zur Südküste und bestieg in Folkstone den Eurotunnel Shuttle, der mich im französischen Coquelles nahe Calais wieder aufs europäische Festland brachte.

Cambridge

Die alte Universitätsstadt lebt zwischen Historie und modernem Studententum.

Straßenmusiker

Der britische Humor ist sprichwörtlich wie britische Popmusik, die mit den Beatles ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Kreidefelsen von Dover

Die weißen Felsen von Dover sind die erste und letzte Sehenswürdigkeit der meisten Reisenden. Die mächtigen Klippen deinetn früher als natürliche Verteidigung des englischen Königreiches.

Cambridge

"Die alte Universitätsstadt empfing mich bewölkt und erhaben. Möglicherweise mag der Vergleich hinken, aber irgendwie erinnerte mich die Stadt an das vertraute Provinzkaff Köthen."

Schottische Ruinen

"Während der Hadrians Wall im dichten Nebel lag, erkundigete ich die Ruinen nahe Newcastel Upon Tyne."