SOTSCHI
RUSSISCHE FOLKLORE, STIPPVISITE IN ASIEN, MIT DEM HUBSCHRAUBER ÜBER DEM KAUKASUS
Schwarzmeer - Kurmondäne der Zaren, Generalsekretäre und Oligarchen

"Die intensive Entwicklung als Kurort begann hie erst mit der endgültigen Errichtung der Sowjetmacht im Jahre 1920. Entsprechend dem Leninschen Dekret "Über die heilsame Gegenden von gesamtstaatlicher Bedeutung" wurden in Sotschi Sanatorien gebaut ... In den vergangenen Jahren wurde viel für die Modernisierung der Stadt getan. Unter den Neubauten, die zweifellos eine architektonische Bereicherung des Kurortes darstellen, ist an erster Stelle der Konzertsaal "Festiwalny" zu nennen, dessen gläserne Hauptfassade dem Meer zugewandt ist." (Lydia Dubinskaja, "Die Sowjetunion, Ein Handbuch für Toruisten", 1985)

Lenindenkmal in Sotschi

„Das Kostbarste, was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur einmal gegeben, und leben soll er so, dass nicht sinnlos vertane Jahre ihn schmerzen, dass nicht die Scham um eine schäbige und kleinliche Vergangenheit ihn brennt und dass er im Sterben sagen kann: Mein ganzes Leben und all meine Kräfte habe ich hingegeben für das Schönste der Welt - den Kampf um die Befreiung der Menschheit.“ (Nikolai Ostrowski, "Wie der Stahl gehärtet wurde")

1987 hing der Eiserne Vorhang bereits in seinem 42ten Jahr über Europa und niemand mehr war der Meinung, dass er sich je wieder heben würde. 27 Jahre später sollten die Olympischen Winterspiele an der Schwarzmeerküste für gravierende Änderungen im postsowjetischen Kurbetrieb und zahlreiches Medieninteresse sorgen. Russland unter Wladimir Putin und der olympische Gedanke würde von vielen Berichterstattern kritisch gesehen werden. Doch zwei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war die politische Situation zwischen dem „freien Westen“ und dem unter roter Fahne erstarrten Ostblock eingefroren. Die gefährdeten Blüten von Glasnost und Perestroika standen in ihren Anfängen und in der ostdeutschen Provinz gehörte der Austausch mit sowjetischen Brieffreunden zur Routine eines fleißigen FDJ-Mitgliedes.

Irgendwie war es meinen Eltern in jenen Jahren gelungen, einen Urlaubsplatz am Schwarzen Meer zu erkämpfen. Noch ein Jahr später, im Winter 1988 war ich von unseren Erlebnissen in Sotschi so eingenommen, dass ich diese im Deutschaufsatz festhielt. „Nun stand es fest. Ende März 1987 sollte ich das erste Mal mit einem Flugzeug nach Sotschi an das Schwarze Meer fliegen. Die Tage vor der Abreise vergingen für mich ungemein langsam. Ich freute mich schon riesig auf die Reise, aber noch mehr auf den Flug. Zwar versuchte ich, mir alles vorzustellen, konnte mir aber trotzdem kein richtiges Bild verschaffen. In der Nacht vor der Abreise fand ich vor Aufregung kaum Schlaf. Früh ging es zeitig los. Wir erreichten den Flughafen Leipzig gut vier Stunden vor dem Abflug. Mit klopfendem Herzen stieg ich die Stufen der Gangway (eine sowjetische Tupolew 154 d.R.) hinauf. Alles schob und schubste (um einen guten Fensterplatz zu bekommen). Nach zehn Minuten ging der Flug los, das Flugzeug fing an zu rollen. ... Auf einmal durchbrachen wir die Wolkendecke. Als wir über dem Riesengebirge waren, ragten die Berge wie Giganten aus der Wolkendecke hervor. Die Spitzen waren voll Schnee und zusätzlich noch von weiße Federwolken umgeben. Plötzlich wurde es dunkel; die Sonne ging unter. Der Flug ging zu Ende und wir näherten uns Sotschi. Die Lichter einer Stadt spiegelten sich im Meer wider. Nach einem Stoß waren wir gelandet. Vor mir lagen spannende Tage an der Schwarzmeerküste. Ich sollte Asien betreten und über den Kaukasus fliegen. Doch von alldem wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Ich stieg die Gangway hinunter. Ein warmer Wind begrüßte mich und ich sah im Scheinwerferlicht die ersten Palmen. Sowjetunion: Druschba – Freundschaft.“

Sotschi, die Stadt an der Schwarzmeerküste, entwickelte sich unter der rote Fahne zu einem der beliebtesten Badeorte. Als Gründungsjahr für den Kurort gilt das Jahr 1909, als an der Küste das Sanatorium „Kawkasskaja Riviera“ gegründet wurde. Josef Stalin ließ in der Umgebung eine seiner Datschen errichten. Der russische Staat unterhält mit Botscharow Rutschei auch heute eine Präsidentenresidenz bei Sotschi, in der das Staatsoberhaupt auch ranghohe Gäste empfängt.

In einem Reiseführer von 1985 steht: „Die intensive Entwicklung als Kurort begann hier erst mit der endgültigen Errichtung der Sowjetmacht im Jahre 1920. Entsprechend dem Leninschen Dekret „Über die heilsame Gegenden von gesamtstaatlicher Bedeutung“ wurden in Sotschi Sanatorien gebaut und die Stadt modernisiert. Ein Bahnhof und ein Passagierhafen wurden errichtet. Dazu kamen ein Theater, Restaurants, Cafes, viele neue Straße und Strandanlagen. Während des Große Vaterländischen Krieges diente Sotschi als größtes Militärhospital des Landes. Die Ärzte und Schwestern von Sotschi erwiesen 500.000 Soldaten und Offizieren der Sowjetarmee medizinische Hilfe.“ Sotschi wurde 1838 gegründet. Im Krimkrieg wurde das Fort vorübergehend aufgegeben, 1864 jedoch wieder errichtet. Später verlor der Posten seine militärische Bedeutung. 1896 erhielt die Siedlung ihren heutigen Namen. Die auf dem Territorium der heutigen Stadt Sotschi siedelnden kaukasischen Völker wurden im Verlaufe des 19. Jahrhundert von den zuwandernden Russen größtenteils verdrängt.

Unser Hotel Dagomys lag indessen 1987 im gleichnamigen Stadtteil von Sotschi wenige Meter oberhalb der Schwarzmeerküste. Am steinigen Strand lächelte mir ein Russe ein aufforderndes „Geh doch Baden!“ entgegen, welches ich jedoch bei den noch herrschenden kühlen Märztemperaturen großzügig ignorierte. Den folgenden Tag nutzten wir, uns im Stadtteil Dagomys etwas umzusehen, kauften einige Melonen, buntbemalte Holzlöffel und feilschten um einige Rubel und um Kerzenständer und kunstvolle Vasen aus Messing. Wir sparten dem individuellen Kennenlernen des sowjetischen Alltags den Ausflug in den Teesowchos Dagomys aus. Für die Touristen fand in der "nördlichsten Teeplantage der Welt" (Lydia Dubinskaja, "Die Sowjetunion, Ein Handbuch für Touristen", 1985) eine Teeverkostung in Samowaren mit Piroggen und Konfitüre statt. Am Abend schlossen wir uns jedoch, sehr zu meinem Leidwesen, einer Folkoreveranstaltung an. Russische Volkstänze und Weisen wurden dem Publikum präsentiert und selbst beim Messerwerfen wurden die anwesenden erste Reihen mit einbezogen - glücklicherweise ungewollt und ohne schlimmere Schäden. Einige Tage später fuhren wir über das heute in der nach Unabhängigkeit strebenden georgischen Teilrepublik Abchasien liegende Pizunda, nach Gagra. Wir nutzen die Gelegenheit uns einen Überblick über den nahen Kaukasus zu verschaffen; buchten mit anderen Neugierigen einen russischen Helikopter und flogen über das seit Jahrhunderten tief zerrissene Gebirge, sahen die schneebedeckten Gipfel und eingeschneiten Dörfer und ahnten nichts von den Spannungen, die am Boden vor sich hin brodelten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestaltete Peter Friedrich Georg von Holstein-Gottorp, ein Schwager des russischen Zaren Nikolaus II., die Stadt zu einem Elite-Urlaubsort um. Er „wollte ein russisches Monte Carlo errichten, das die Abwanderung des russischen Geldadels ins Ausland stoppen sollte. Für drei Millionen Rubel aus der Staatskasse entstanden ab 1902 mehrere Spielbanken, ein prächtiger Kurpark, ein Palast, ein Wassersanatorium, ein Hotel im norwegischen Baustil und ein Wiener Luxusrestaurant. Gemeinsam mit seiner Frau Olga Alexandrowna Romanowa verlebte Oldenburg die Sommer in Gagra, organisierte große Feste und Militärparaden. Er pflanzte Palmen, Agaven, Zypressen, Zedern, Magnolien, Zitronen- und Orangenbäume, importierte Papageien und Affen. Gagra entwickelte sich zum Tummelplatz der russischen High Society. Ab 1911 legten deutsche Kreuzfahrtschiffe an. Nach der Oktoberrevolution gründeten abchasische Kommunisten die Republik von Gagra, führten Massenverhaftungen durch und enteigneten die alten Besitzer. Nach 1945 wurde die Stadt mit neuen Sanatorien ausgerüstet und wuchs enorm. Nach der Eroberung Gagras durch abchasische Freischärler am 2. Oktober 1992 wurden während des Massakers von Gagra hunderte georgische Einwohner zusammengetrieben und erschossen. An der Hauptstraße wurden 50 Georgier an Laternenpfählen aufgehängt. Der Tourismus brach ein. Er hat sich bis heute noch nicht erholt. Viele Gebäude sind immer noch Ruinen.“

Mit dem Ausflug nach Suchumi betrat ich asiatischen Boden. Unser Reiseleiter schwärmte vom Aufbau, davon, dass in einigen Jahren die Menschen im Schwarzen Meer baden und zeitgleich hinauf mit den Skilift ins Kaukasusgebirge zum Skifahren aufbrechen würden. Der Zusammenbruch des sowjetischen Reiches sah anderes vor. Während sich Suchumi in sowjetischer Zeit zur weißen Stadt am Meer entwickelte, einem Sommerparadies mit exklusiven Hotels, Cafés und einer lebhaften Künstlerszene wurde, die Stadt zwischen 1992 bis 1994 ein Zentrum des Guerillakampfes zwischen georgischem Militär und abchasischen und tschetschenischen Freischärlern, der zur Abspaltung Abchasiens von Georgien führte. In Suchumi bestand das Kriegsgefangenenlager 461 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs und Manfred von Ardenne forschte hier bis 1954 an der Entwicklung der sowjetischen Atombombe.

Viel zu schnell mussten wir jedoch vom Schwarzen Meer wieder zurück. Der Markt in Dagomys blieb mir jedoch ebenso in Erinnerung, wie unsere rasante Busfahrt in einem völlig überfüllten Linienbus; der Angstschweiß aufgrund der steil abfallenden Straße und Kreuze am Wegesrand begründet und nicht enden wollend. Auf dem Rückflug nach Leipzig überzeugte mein Vater die Stewardess, mir eine Stippvisite im Cockpit zu gönnen. „Eine Menge Armaturen. Die Piloten waren sehr freundlich. Fünf Leute in der kleinen Kabine; die Fenster mit Zeitungen gegen die grelle Sonne abgeschirmt. Ja, Russisch hatte ich jeden zweiten Tag in der Schule und Brieffreundschaften nach Leningrad und Gorki, aber mehr als „Straswuitje“ und „otschen chochoscho“, „thank you very much, I’m very happy“ brachte ich nicht heraus. Ich war vierzehn und im siebten Himmel. Zwei Jahre endete der Kalte Krieg, das gefährliche Muskelspiel zwischen östlicher und westlicher Hemisphäre. In diesen Jahren endeten auch meine russischen Brieffreundschaften. Schade, Russland habe ich seitdem nicht wieder betreten.

Schwarzmeerküste

"Das Nikolai-Ostrowski-Literaturmuseum befindet sich in dem Haus, das der hervorragende Mensch und bedeutende Schriftsteller ... in den letzten Monaten seines so kurzen Lebens bewohnte. Er war durch die Folgen einer Verletzung im Bürgerkrieg im Alter von 24 Jahren erblindet und gelähmt. Trotz seiner schweren Leiden arbeitete er weiter und schuf seinen weltbekannten Roman." (L.D.)

Am Flughafen Adler

Mit einem Helikopter der russichen Fluggesellschaft AEROFLOT stiegen wir über den Kaukasus auf; die noch schneebedeckten Berge geniesend und die ethnischen Konflikte, die einige Jahre später in blutigen Gemetzeln ausufern sollten, unter uns lassend.

Sanatorium in Sotschi

"Heute gibt es in Groß-Sotschi, das man oft auch als "südliche Perle der Sowjetunion" bezeichnet, zahlreiche komfortable Hotels, Bettenhäuser, Erhloungsheime und Sanatorien. Die Stadt verfügt darüber hinaus über 250 Kureinrichtungen, in denen jährlich über drei Millionen Menschen, darunter auch viele Gäste aus dem Ausland, Erholung und Genesung finden." (L.D.)

Perestroika

Während in der ostdeutschen Provinz die Deutsch-Sowjetische Freundschaft noch hochgehalten wurde, fand in der UdSSR der Umbau und die Modernisierung des Systems in der Sowjetunion statt. „Schwierigkeiten lauern auf den, der nicht auf das Leben reagiert“. (M.S.Gorbatschow, 1989)