TIBET 3 von 3
YARLUNG TSANGPO, QOMOLANGMA, YAKS UND HÖHENRAUSCH
Gebetsfahnen am Lalung La Pass

"Der Mittelpunkt des ganzen Staatsgebäudes ist die Religion. ... Der Tagesablauf des Volkes wird vom Glauben diktiert, unaufhörlich drehen sich die Gebetsmühlen, murmeln die Gläubigen die frommen Formeln, wehen die Gebetsfahnen von den Dächern der Häuser und auf den Pässen der Berge. Regen, Wind und alle Naturerscheinungen, die einsamen Gipfel des eis- und schneebedeckten Gebirges sind Zeugen der Allgegenwart der Götter: Im Hagelsturm zürnen sie, Gedeihen und Fruchtbarkeit zeigen ihr Wohlwollen. Das Leben des Volkes ist ausgerichtet nach diesem Willen, dessen Interpreten die Lamas sind." (Heinrich Harrer, 1948)

50 Jahre später ist mit den Chinesen zwar die Moderne in den Himalaya vorgedrungen, doch gelang es den Tibetern über die Jahre der Besetzung hinweg, ihre Traditionen und ihren tiefen Glauben zu wahren. Ein wenig scheinen sie mir den ehemaligen DDR-Bürgern zu gleichen, die sich 40 Jahre auf spezielle und verschiedene Arten gegen ihre sozialistische Erziehung zu wehren suchten.

Presselandschaft

Es gibt Zeitungen in tibetischer Sprache und chinesische Blätter. Die Presselandschaft ist stark von chinesischer Zensur geprägt. Wirkliche Oppostion in westlich-demokratischer Interpretation gibt es nicht. Internationale Zeitungen und Zeitschriften sind in Tibet nicht erhältlich.

"Möge sich wieder ein goldenes Zeitalter voller Freude und Glück über den drei Regionen Tibets ausbreiten. Möge sein weltlicher und spiritueller Glanz wieder erstrahlen. Mögen sich Buddhas Lehren in alle zehn Himmelsrichtungen ausbreiten und alle Wesen im Universum zu einem glorreichen Frieden führen.“ (aus der Nationalhymne Tibets)

In Shigatse, der zweitgrößten Stadt Tibets, leben etwa 90.000 Menschen. Der Ort liegt am Zusammenfluss von Nyangchu und Yarlung Tsangpo auf 3.840 Meter Höhe und ist somit die höchstgelegene Stadt Tibets. Das ehemalige Verwaltungszentrum entwickelte sich am Fuße der alten Festung Samdrubtse, die wie die meisten Befestigungen Tibets nur Dzong genannt wurden. Von Gyantse kommend, erreichten wir die Stadt in den frühen Nachmittagsstunden. Breite Straßen, gesäumt von modernen, viergeschossigen Plattenbauten standen im gleißenden Sonnenlicht Spalier. Überall wurde gebaut, standen Baumaschinen am Weg und hupten sich Fahrzeuge ihren Weg frei. Tibetische Frauen schaufelten tiefe Gräben, verlegten Wasserleitungen und Stromkabel. Mönche standen in ihren roten Tüchern am Grabenrand und verfolgten die Arbeiten. Chinesisches Militär patrouillierte auf den Hauptstraßen und auf dem Markt wurden neben frisch geschlachteten Ziegen, alten Kassettenrecordern, Basecaps und  anderem Ramsch zahllose Mandalas, wundervoll gearbeitete Gebetsmühlen und Türkisketten angeboten. Wir nahmen uns den Rest des Tages frei, erkundeten die Straßen und Gassen und entdeckten dabei zahllose Motorräder, Schulkinder in Uniformen und andere sonderbare Gestalten. Vom  alten Markt aus lag die Festung nur einen Steinwurf entfernt. Von hier regierten die Könige von Tsang bis ins 17.Jahrhundert große Teile Tibets. 1950 wurde die Festung bis auf ihre Grundmauern niedergerissen. 55 Jahre später begann der Wiederaufbau mit Förderung aus Shanghai. Ganz fertiggestellt werden konnte die Betonrekonstruktion jedoch nicht, da die Spendengelder durch den chinesischen Verantwortlichen veruntreut wurden. Doch die Anlage, die künftig als Museum den Touristen geöffnet wird, war nicht unser Ziel.

Wir waren auf der Suche nach einem tibetischen Restaurant, hungrig auf Momos, den gefüllten Teigtaschen, auf Tsampasuppe, Nudeln und Fleisch. Die tibetischen Gerichte sind in manchen Fällen gewöhnungsbedürftig, Fleischgerichte beinhalten nicht nur Filetstücke sondern ganze Knochen und Speisen recht fad. Der weitverbreitete Buttertee war für mich eine besondere Herausforderung, galt es doch, nicht nur den ranzigen Geruch sondern auch erste Würgereflexe zu überwinden. Ein tibetisches Sprichwort besagt, dass sich der wahre Geschmack erst mit dem dritten Schälchen warmen Buttertees erschließt. Das typischste aller tibetischen Getränke wird aus Yakmilch hergestellt und gehört mit dem ständig getrunkenen Tee zu den Getränken, die immer und überall in Tibet zu erhalten sind. Mit meinen zwei Versuchen war ich jedoch am Buttertee kläglich gescheitert und mir blieben die wahren Wonnen versagt. Wir fanden im „Tashi“ den Spagat zwischen einem modernen Restaurant und tibetischer Tradition.

Es war eine ungewöhnliche Erfahrung. Ständig standen wir kritisch unserer Reiseroute gegenüber. Wir vermuteten hinter allen Erklärungen Lobsangs die chinesische Einflussnahme und waren immer wieder besorgt, ob wir nicht zu kritisch fragen würden, gefährdeten wir doch so unseren jungen tibetischen Reiseleiter eher als es unser Interesse befriedigt hätte. Irgendwie schien es eine Reise in die Vergangenheit, wieder hinter den eisernen Vorhang, der sich für die Hälfte unserer Reisegruppe vor 20 Jahren geöffnet hatte. Ich fühlte mich plötzlich in der verkehrten Position und konnte doch als gelernter DDR-Bürger die Besorgnis, Frust und Wut bei gleichzeitigem Arrangement nachvollziehen.

Wir blieben zwei Nächte in Shigatse bevor wir weiter Richtung Shelkar aufbrachen. Der Friendship Highway, Verbindungsstraße zwischen dem nepalesischen Kathmandu und Lhasa, lag hier breit und frisch asphaltiert vor uns. Wir fuhren an kleinen Siedlungen vorbei, zerstörten Klöstern und Ruinen vergangener Schlachten. Am Wegesrand, immer nur eine Haaresbreite von den vorbeirasenden Fahrzeugen entfernt, waren Frauen mit Ausbesserungsarbeiten tätig und boten Bauern ihre Waren feil. Die Feldarbeiten waren in vollem Gange. Yaks zogen Holzpflüge durch den braunen Boden, Getreide gedroschen und Stroh gebündelt. Motorpflüge frischten immer wieder das mittelalterliche anmutende Bild auf.

Im Süden leuchteten uns die schneebedeckten Gipfel des Transhimalaya entgegen. Vom Everest Hotel in Shelkar brachen wir vor dem Morgengrauen zum Chomolungma auf. Wir passierten mehrere Kontrollstationen, bevor wir die staubige Schotterpiste zum Pang La hochfuhren. Vom 5.150 Meter hoch gelegenen Pass lagen die strahlenden Gipfel des Mt.Makalu, Mt.Lhotse, Mt. Everest, Mt. Cho Oyu und Mt. XiXiaBangMa erhaben und spektakulär vor uns. Bis zum Basecamp lagen noch einige Stunden harter Fahrt vor uns.

Tibets Ökosysteme sind seit der chinesischen Besatzung vielerorts gestört worden. Waren sich die Tibeter in den vorangegangenen Jahrhunderten der sensiblen Natur auf dem Dach der Welt bewusst, so galt den Chinesen das Land als „Schatzhaus des Westens“, Xizang. Landschaften, Tiere und Pflanzen waren im Buddhismus verwurzelt, das ökologische Bewusstsein durch die Lehre der gegenseitigen Abhängigkeit aller Lebewesen und Dinge geprägt. Doch seit den 1950er Jahren wurde die Schatzkammer vorbehaltlos geplündert. Chinas Hunger bleibt unersättlich. Die Unzugänglichkeit des Landes erschwerte es lange Zeit, sich der der zahlreichen Rohstoffe zu bemächtigen. Die tibetischen Wälder wurden auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Fläche dezimiert. Die Folge sind Erosionen und Überschwemmungen nach den starken Monsunregen. Aufforstungsmaßnahmen durch die chinesische Regierung bleiben nahezu erfolglos. Auch die tibetische Fauna, darunter seltene Tierarten wie Schneeleoparden, Wildyaks und Tibetantilope. Artenschutz gilt wenig im chinesischen Einflussbereich. Laut dem WWF gelten im Jahr 2009 141 Tierarten in Tibet als gefährdet. Seit Jahren weisen Tibetkenner auf die verheerenden Folgen durch den Abbau der zahlreichen Bodenschätze hin. Die tibetischen Bodenschätze wie Uran, Gold, Kupfer, Zink, Eisenerz und Chrom werden auf umgerechnet 65 Milliarden Euro geschätzt. Insider berichten, dass der Einsatz umweltschädlicher Chemikalien zur Gewinnung der Erze dazu führt, dass aus der Umgebung von Abbauhalden immer wieder von neuartigen, teils tödlichen Krankheiten berichtet wird, wie z.B. Hautausschläge, Durchfall- und Atemwegserkrankungen. Besonders mit der Fertigstellung der Lhasa-Bahn wird der beschleunigte Ausverkauf des ehemals heiligen Landes verbunden. Einerseits wird die Besiedlung Tibets von Chinesen andererseits der Abtransport der wertvollen Rohstoffe beschleunigt. Der Transport von chinesischem Militär ist schneller möglich, die Bahnstationen fest in der Hand der Zentralregierung. Der Energiehunger Chinas kann scheinbar nicht gestillt werden. Trotz des weltweit umstrittenen „Drei-Schluchten-Staudammes“ am Yangzi, der auf Kosten der Umwelt und lokalen Bevölkerung erzwungen wurde, setzen die Planer in Peking auf ein ähnliches Konzept am südlich von Lhasa gelegenen See Yamdrok Co. Unterstützung bei der Umsetzung erhalten die Chinesen durch deutsche und österreichische Firmen.

Die Zelte des Mt.Everest Basecamp wurden zwei Tage vor unserer Ankunft abgebrochen, die Saison war vorbei. Ein kalter, stetiger Wind wehte uns auf 5.200 Metern vom Berg entgegen; ehrfurchtgebietend lag der höchste Berg der Welt vor uns. Klar zeichnete sich der Gebirgssattel mit den „three pinnacles“ in den sauerstoffarmen Himmel. Dort oben lag die Todeszone des Everest. Seit den Tagen des George Mallory und Edmund Hillary hatte sich viel geändert. Der Berg wurde zum Synonym überzogener Ansprüche, die Verheißung für Abenteurer und Wagemutige, Amateure und suizidgefährdete Touristen. Für die Tibeter ist der heilige Berg Kailash indessen das wichtigste Ziel gläubiger Buddhisten. Lobsang war dennoch stolz, als er mir erzählte, im kommenden Jahr den Gipfel des Everest mit seinem amerikanischen Freund erobern zu wollen. Der Legende nach veranstaltete Padmasambhava einen Wettlauf zum Gipfel. Nachdem er einige Zeit auf dem Gipfel meditiert und mit den Dämonen des Berges gekämpft hatte, wurde er von einem Lama der Bön-Religion herausgefordert. Der Lama machte sich noch in der Nacht auf den Weg, getragen von seiner magischen Trommel, der Lotusgeborene Padmasambhava erst bei Tagesanbruch. Er gewann den Wettlauf, weil er „auf einem Stuhl sitzend, von einem Lichtstrahl direkt zum Gipfel gebracht wurde“ Nachdem er eine Weile oben gewartet hatte, ließ er seinen Stuhl zurück und begann den Abstieg. Der Bön-Lama gab sich geschlagen und ließ seine Trommel am Berg zurück. Bis heute sind die Tibeter der Überzeugung, dass die Geister die Trommel schlagen, wenn eine Lawine zu Tale donnert. Vor jeder Besteigung erfolgt daher eine Opferzeremonie, die Puja. Das Opfer der Puja ist zwingend für den Seelenfrieden der Sherpas unabdingbar und für die Berggötter notwendig, um sie nicht zu zürnen.

Ich schlichtete einen kleinen Steinhaufen neben die vielen anderen, dachte an die vielen Schicksale am Berg und ging zurück zum Jeep. Es waren unsere letzten Stunden auf dem Dach der Welt. Im Kloster Rongpu, dem mit 5.100 Metern höchstgelegenen und von einigen Mönchen wieder besiedelten Kloster, schlürften wir eine dünne Nudelsuppe, bevor wir uns wieder auf den Weg machten. Staubig und abenteuerlich war die Piste querfeldein nach Tingri. Abseits der Hauptwege lagen einzelne Siedlungen, deren Gehöfte sich flach und grau an den kargen Boden drückten. Yakfladen lagen zum Trocknen verstreut, einzelne Windräder sorgten für den Strom und überall blitzten Parabolspiegel als Kochstelle in der gleißenden Herbstsonne. Vor Schmutz starrende Kinder sprengten winkend hinter den Lehmhütten hervor und sahen den vorbeirauschenden Jeeps, die sie in eine staubige Wolke hüllten, lange nach. Wir fuhren am tiefen Ra Cha River vorbei, der sich an manchen Stellen einen tiefen Canon gegraben hatte. Pfeifhasen versteckten sich in ihren Erdlöchern und hinter der nächsten Flussbiegung mussten wir vor einer Herde Yaks in die Vollbremsung gehen. Nomaden waren auf dem Weg in ihr Winterquartier. In der Fernfahrerstadt Tingri stießen wir wieder auf den Friendship Highway. Von weitem grüßte der Chomolungma zum letzten Mal, bevor er hinter der nächsten Kurve unseren Blicken entschwand. Vom 5.030 Meter hohen Lalung La Pass wehten die letzten Gebetsfahnen vor der nepalesischen Grenze, danach ging es nur noch bergab. Ich tauschte mit Lobsang die letzten Erkenntnisse über Demokratie und Kommunismus und ließ ihn im Grenzort Zhangmu zurück. Nepal empfing uns heiß und schwül. Doch das ist ein anderer Bericht.

Kyi Chu Tal

Eng schmiegt sich eine staubige Piste an die braunen Hängen des Tals. Im Herbst leuchten die spärlichen Pappelhaine ihr letztes Grün vom Fluss hinauf in den blauen Himmel.

5.300 Meter - Everest Base Camp

Der höchste Gipfel der Welt ist die Verheißung für Abenteurer, Wagemutige und Wahnsinnige. Der 8.848 meter hohe Berg erhielt seinen Namen vom britischen Landvermesser Sir George Everest, der die Postion erstmals 1841 kartierte.

Im Rong Chu Tal

Besonders in den ländlichen Gegenden begegnen wir neugierigen Kindern. Das Leben meint es hart mit den Menschen und der chinesische Fortschritt ist auch im 50.Jahr der Besetzung nicht allen Tibetern gleich zugänglich.

Ernteeinsatz im Kyi Chu Tal

Auch wenn Motorgeräte verbreitet sind und selbst die Feldarbeit nicht ausschließlich mit den unverwüstlichen Yaks betrieben wird, so erinnern manche Begegnungen an längst vergessene Zeiten.

Skepsis hat Vorfahrt

Besonders die Tibeter außerhalb der touristischen Zentren begegnen uns stets mit einem herzlichen Lachen. Doch manchmal bestätigen auch Ausnahmen die Regel.

Kloster Rongbuk

1902 erbaut, ist das Kloster das höchstgelegene der Welt und Versorgungsbasis für alle Everest-Touren. Früher wurden von hier die höher gelegenen Eremitagen, einfache Steinbauten, versorgt, in denen die Mönche meditierten.

Lhasa - Potala Palast

Das Gelände vor dem einstigen Gottessitz ist heute ein mächtiger Paradeplatz. Am Abend schallen chinesische Lieder aus Lautsprechern über den weiten Platz.