TÜRKEI
BAUCHTANZ UND NIKOLAUS, TERASSEN UND HERR MÜLLER
Ruinen der antiken Stadt Myra

Das heute türkische Demri gehörte in der Antike zu den sechs größten Städten des Lykischen Bundes. Die frühere christliche Hauptstadt von Lykien wurde 141 von einem Erdbeben erschüttert, 809 von den Truppen des Arabers Harun-al-Rashid geplündert und im Laufe der Jahrhunderte vom Schlamm des Demre-Flusses begraben. Die Ruinen der Stadt wurden in den späten 1960er Jahren durch den deutschen Archäologen Jürgen Borchhardt ausgegraben.

Hauptattraktion sind heute das römische Theater und die lykischen Felsengräber.

Basilika von Demre

Der berühmteste Sohn der Stadt ist der Bischof Nikolaus von Myra. Aufgrund seiner vermögenden Schenkungen an die Armen ranken sich zahllose Legenden um den Heiligen, dessen Gebeine in der Kirche San Nicola in Bari aufbewahrt werden.

Der kleine Badeort Kemer liegt etwa eine Stunde südwestlich von Antalya. An einigen Stellen reichen hier noch die mächtigen Ausläufer des bis zu 3.000 Meter aufsteigenden Taurus-Gebirges bis an das Meer heran. Es sind die letzten Meilen der sogenannten Türkischen Riviera, die neben der südlichen Ägäisküste zu den heute touristischen Zentren des Landes gehört. Während sich eine felsige Küstenstraße von Antalya westwärts am Mittelmeer entlangwindet, besteht der  flache Strand um Kemer überwiegend aus groben Kieseln. Dank des überaus milden Klimas baden noch im Dezember Besucher und Einheimische im Meer. In den Sommermonaten lassen sich lediglich die Touristen am Strand rot brennen, während die Einheimischen vor der Sommerhitze ins Taurusgebirge fliehen.

R. und ich wollten die türkische Gastfreundschaft kennenlernen und hatten uns zu einer ganz profanen Pauschalreise durchgerungen. Wir landeten Ende März in Antalya, wurden mit den anderen Halb- und Vollpensionären in einen Bus geladen und auf die verschiedenen Bettenburgen aufgeteilt. Wir waren im östlich gelegenen „Joy Kiris World“ Hotel untergebracht und somit die letzten Gäste, die ausstiegen. Die Hotelanlage war recht weitläufig und lag recht idyllisch an einem Felshang. Wir mussten auf die schrecklichen weißen Armbänder verzichten, die jedem Vollpensionär umgelegt wurden. Nachdem wir unsere Taschen im Zimmer platziert und uns etwas erfrischt hatten, erhielten wir in der Lobby den obligatorischen Begrüßungscocktail: einen ziemlich süßen alkoholfreien Fruchtsaft mit Weintrauben- und Ananasgeschmack. Wir nutzten den Tag, um uns Kemer anzusehen, kamen mit den Hamburgern Philip und Maren ins Gespräch, die auch zum ersten Mal in der Türkei waren. Die kleine Rainbow-Hoteldisko war spärlich besetzt. Einige Pärchen saßen an den runden Tischen und zutschten an ihren Cocktails. Zwei dumpf dreinschauende Typen standen mit ihren weißen Armbändern an der Theke und belaberten zwei Frauen, die sich offensichtlich andere Gesellschaft wünschten. Wir waren galant und erlösten Doris und Beatrix aus ihrer Zwangslage.

Am nächsten Tag fuhren wir nach Demre, der ehemals antiken lykischen Stadt Myra. Die alten Felsgräber von Myra sind heute die Attraktion der Kleinstadt. Der alte Bischofssitz des Heiligen Nikolaus‘ lockt zudem zahlreiche Pilger in die Stadt. Die heutige dreischiffige Basilika stammt im Kern aus dem 8. Jahrhundert. Die Kirche, die jahrhundertelang im Schlamm des Demre-Flusses versunken war, wurde 1863 vom russischen Zaren Alexander II. erworben und teilweise wiederhergestellt. Seit den 1990er Jahren finden hier türkische Grabungen statt.

Wenige Meter vom Hotel lag das Lokal „Unsafir“, das von einem Türken mit Wiener Dialekt und einer Chemnitzerin betrieben wurde. Mehr als 2.000 Kilometer von Sachsen entfernt philosophierten wir plötzlich über Fußball, Islam und Christentum. Am nächsten Tag mieteten wir uns einen fahrtüchtigen Fiat und machten uns auf den Weg zu den „brennenden Steinen“. Seit der Antike sind die aus Felsspalten schlagenden Flammen die Heimstatt der Legenden und die „ewigen Feuer der Chimäre“. Die griechische „Ziege“ der antiken Mythologie schien auswärts zu sein und so nutzten einige Einheimische die schmalen Flammen. Antike Berichte belegen, dass die Flammen früher höher geschlagen haben müssen und Seefahrern als Leuchtfeuern gedient haben. Einige Kilometer nebenan liegt das lange Zeit vergessene Olympos zu beiden Seiten eines schmalen Baches. Es sind mehr die überwucherten Ruinen, die Reste eines kleinen römischen Theaters und eines Tempels sowie ein versumpfter See, die von der ehemals wohlhabenden Stadt künden. Einige Schildkröten krabbelten über die sonnendurchfluteten Wege, die sich durch das Dickicht schlängelten. Für das Wenige, was wir zu sehen bekamen, verlangten die Türken immerhin fünf Euro pro Person, was in Etwa dem Gegenwert eines Braunschweiger Döners entsprach. Zurück in Kemer testeten wir die hohe türkische Schuhputzschule und vergaben hohe Euronoten. Am Abend gingen wir mit Doris und Beatrix, die den Tag am Strand verbracht hatten, essen und nutzten anschließend ausgiebig die weißen Armbänder der Frauen an der Hotelbar.

Wir schlossen uns am nächsten Tag der Ausflugsgruppe nach Pamukkale an, zahlten nochmal etliche Euros für den Trip und verzichteten zugunsten von Erdnüssen und Dosenbier auf das touristische Standartessen. Pamukkale, mit etwas mehr als 2.000 Einwohnern eher ein Kleinkaff als eine Kleinstadt erreichten wir über waghalsige Straßen, die mit Lastwagen verstopft schien. Die Berge des Westtaurus lagen schneebedeckt im kühlen Frühling. Pamukkale ist wegen seiner Kalksinterterassen bekannt, die über Jahrtausende durch die kalkhaltigen Thermalquellen entstanden. Inzwischen stehen die durch den Massentourismus und Hotelanlagen stark beschädigten Terrassen auf der Liste des UNESO Weltkulturerbes. Wir checkten in einem einfachen aber sauberen Hotel ein und nutzten den Nachmittag um uns Stadt und Terrassen anzusehen. Ähnliche Sinterterrassen sind nur noch im Yellowstone Nationalpark und im ungarischen Egerszalok anzutreffen. Etliche Touristen drängten sich barfuß über die Abschnitte und ich traf Herrn Müller aus unserem Dorf. R. bekam sich vor Lachen kaum ein. Ich kam mir vor wie Kara Ben Nemsi, der sich mit Hadschi Halef Omar nach Sonnenuntergang hinter der dritten Palme links verabredet hatte. Später tanzten wir zum Abendprogramm einen recht bekömmlichen Bauchtanz, genossen einige kühle, jedoch dünne Biere und sorgten für ausgelassene Heiterkeit.

In den Ruinen des direkt angrenzenden antiken Hierapolis grasten einige Schafe. Der von etlichen Erdbeben drangsalierte Ort wartete mit den Resten einer Nekropole, Apollotempel und Bädern, Theater und Stadtmauer auf. Mich erinnerten die Überreste an den „alten Mann vom Bosporus“.

„Der Türke ist ein Mensch, und einen Menschen macht man nicht damit gesund, daß die Nachbarn sich um sein Lager stellen und mit Säbeln ein Stück nach dem Andern von seinem Leibe hacken, sie, die sie Christen sind. Einen kranken Mann macht man nicht todt, sondern man macht ihn gesund, denn er hat ein ebenso heiliges Recht, zu leben, wie jeder Andere. Man entzieht seinem Körper die Krankheitsstoffe, welche ihm schädlich sind, und reiche ihm dagegen das Mittel, welches ihn heilt und wieder zu einem leistungsfähigen Menschen macht. Der Türke war einst ein zwar rauher, aber wackerer Nomade, ein ehrlicher, gutmüthiger Gesell, der gern einem Jeden gab, was ihm gehörte, sich aber auch Etwas. Da wurde seine einfache Seele umsponnen von dem gefährlichen Gewebe islamitischer Phantastereien, Lügen und Widersprüche; er verlor die Klarheit seines ja sonst schon ungeübten Urtheiles, wollte sich gern zurecht finden und wickelte sich desto tiefer hinein. Da ward der bärbeißige Gesell zornig, zornig gegen sich und Andere; er wollte sich einmal Gewißheit schaffen, wollte einmal sehen, ob es wahr sei, daß das Wort des Propheten auf der Spitze der Schwerter über den Erdkreis schreiten werde. Er hing sich den Köcher um, griff zu Speer und Bogen, bestieg sein zottiges Roß und nahm den ersten, den besten Nachbar beim Schopfe. Er siegte und siegte wieder; das begann ihm zu gefallen. Er fühlte mit den Siegen seine Kräfte und sein Selbstvertrauen wachsen; darum marschirte er mit kühnen Schritten weiter. Es lagen ihm Tausende zu Füßen; er konnte in Gold und Perlen wühlen, aber er aß seinen trockenen Schafkäse zu dem harten Haferbrode nach wie vor, denn das gab ein festes Knochengerüste und eine eiserne Muskulatur. Das blieb so, bis er gezwungen wurde, bis an den Leib in dem Sumpfe byzantinischer Heuchelei und griechischer Raffinerie zu waten. Man schmeichelte ihm, man machte ihn zum Halbgott; man zerstreute ihn durch hundert Aufmerksamkeiten; man erfand tausend Sünden, um Einfluß auf ihn zu gewinnen, und lehrte ihn Bedürfnisse, die ihn zu Grunde richten mußten. Seine Natur widerstand lange; aber als er einmal zu siechen begann, nahm die Krankheit Riesenschritte an, und nun liegt er da, umgeben von eigennützigen Rathgebern, welche sich sogar nicht scheuen, noch zu seinen Lebzeiten sein Erbe an sich zu reißen.“ (Karl May, „Von Bagdad nach Stambul“)

Auf dem Rückweg lernten wir die letzten Ausläufer einer Kaffeefahrt kennen, die hier in erster Linie mit dem Verkauf von Teppichen verbunden war. Interessant war indessen, dass wir die jahrtausendalte Tradition der Seidenherstellung dabei kennenlernten. Am Ende der Führung stand eine ausführliche Verkaufsveranstaltung, der wir zum Leidwesen der Türken widerstehen konnten. Wir verbrachten noch einige schöne Tage mit Doris und Beatrix, tranken einen bekömmlichen Kaffee in Antalya und holten uns am letzten Tag einen würzigen Sonnenbrand, nachdem wir idiotischerweise ein Hamam besucht hatten. Alles in allem waren es jedoch ebenso spannende wie erholsame Tage unter dem Halbmond.

Seidenproduktion

Seit Jahrhunderten gehört die Seidenproduktion zu den edelsten Stoffen. Früher war der teure Stoff nur den höheren Ständen vorbehalten.

Ruinen von Hierapolis

Die antike griechische Stadt war schon früh wegen ihrer Thermalbäder bekannt.

Schuhputzer

Einige Lira verlangen in den türkischen Straßen die Schuhputzer für ihren Service.

Pamukkale

Die weißen Sinterterassen sind weltberühmt. Die intensive touristische Nutzung früher Jahre hinterließ jedoch tiefe Spuren.

Pauschalurlaub

Das Hinterland der Türkischen Riviera hat kulturell mehr zu bieten als Vollpension und bezahlte Animateure.