VON BERUF BAUER

Vom Lehrausbilder zum Bauern*
* Erstveröffentlichung: Mitteldeutsche Zeitung 1998

Gunter Dietrich, 38 Jahre, ehemaliger Berufsausbilder für Elektroniker im Zementwerk Karsdorf, ist seit 1995 Landwirt mit 250 Hektar Bestellfläche. Welche Gründe bewegen einen Mann in der heutigen Zeit, Bauer zu werden? Das Risiko der Selbständigkeit einzugehen und schwere Maschinen zu bewegen anstelle von Lehrlingen? Der eigene Betrieb war der Lebenstraum des Vaters und so hatte der Agraringenieur Herbert Dietrich schon im März 1991 den ehemaligen Landwirtschaftsbetrieb wieder eingerichtet. Nachdem die letzten Lehrlinge im Zementwerk 1994 ausgelernt hatten, war für Dietrich junior auch die Zeit in Karsdorf vorüber. Die Arbeitsangebote im gelernten Beruf waren schon zum damaligen Zeitpunkt in der Region dürftig gewesen. Also wurde Gunter Dietrich Kompagnon seines Vaters und am 1. Juli 1996 die "Herbert Dietrich & Sohn GbR" gegründet.

Schritt für Schritt rüstete der ehemalige Elektronikausbilder zum Landwirt um, und der kleine Betrieb auf. Nachdem der erste neue Deutz-Schlepper gekauft wurde, konnte auch der alte "Class"-Mähdrescher, mit dem der Vater begonnen hatte, abgelöst werden. Weitere Technik wurde hinzu gekauft. Das heimatliche Gehöft an der Hauptstraße, seit 1868 im Familienbesitz, wurde bald zu klein für den Deutz-Mähdrescher und die vier Schlepper. Und so bauten die Dietrichs im Jahr 1998 eine Maschinenhalle am Ortsausgang von Liederstädt am Bergweg.

In der Zwischenzeit bewirtschaftet der kleine Betrieb 250 Hektar Ackerland. Die Flächen, teils Eigenland und teils gepachtet, liegen unter anderem bei Leimbach, Vitzenburg und Grockstädt. Abhängig von den Witterungsbedingungen werden bereits im Februar die ersten Flächen gedüngt. Im März "der Bauer die Rösslein anspannt", bestellt und bearbeitet bis in die Novemberwochen. Sommer- und Wintergerste, Winterweizen, Zuckerrüben und Winterraps stehen hauptsächlich auf dem Programm.

"Auch wenn in vergangenen Jahrhunderten der Sonntag der Tag der Ruhe war - heutzutage ist das Luxus und die 7-Tage-Woche eher die Regel als die Ausnahme", sagt Dietrich. Und so kommt der junge Landwirt Dietrich, der sich in drei Wintern auf der Agrarfachschule in Naumburg noch weitergebildet hat, um zwei landwirtschaftliche Abschlüsse zu erreichen, selten zur Ruhe. Vieles gibt es zu beachten in einem Berufszweig, dem die Zukunft nicht gehört. Das Tagwerk des Gunter Dietrich ist lang und oft stressig. Die Welt durch eine rosarote Brille zu betrachten, kann sich der junge Landwirt nicht leisten.

Trotzdem sich die Geschäfte bisher positiv und zu seiner Zufriedenheit entwickelt haben, gibt es doch auch immer wieder Auseinandersetzungen mit uneinsichtigen Zeitgenossen. Bauchschmerzen bereitete den Dietrichs auch die "Gasversorgung Sachsen-Anhalt", die "bei der Verlegung der neuen Erdgasleitung weder unbefestigte Feldwege noch brachliegende Flurstücke nutzte, da der offenbar schnellste Weg für die GSA über besten Ackerboden verlief", ärgert sich der Landwirt.

Besondere Sorge bereitet dem geborenen Liederstädter die Entwicklung in der EU. Die Veränderungen mit der Agenda 2000, die sich besonders durch den Konkurrenzdruck der Amerikaner und die fallenden Preise bemerkbar machen, sind deutlich zu spüren. Die Getreidepreise sinken ab diesem Jahr schrittweise um 15 Prozent. Die Beihilfe für Ölsaaten wird ebenfalls in diesem Jahr um 130 DM/ha nach unten geschraubt. Hinzu kommen ständig steigende Kosten und die scheinbar unerschöpflichen Steuererschwernisse, wie beispielsweise für Dieselkraftstoff.

Weiter befinden sich die Preise für Braugerste seit zwei Jahren im Keller, 1998 fielen die Rapspreise durch ein Überangebot auf dem Weltmarkt, und es gehört ständig Fingerspitzengefühl und Glück dazu, die Bestellungen im Jahr vorzubereiten, abzustimmen und den richtigen Zeitpunkt für einen guten Preis zu finden. Und zu allem Überdruss wird schon von der Agenda 2010 geredet, die im Rahmen der EU-Osterweiterung spätestens in fünf Jahren vorbereitet werden soll. Kummer bereiten Dietrich, der ebenso wie sein Vater in keiner Vereinigung ist, sich aber "zum Landvolkverband hingezogen fühlt", die geplante Bildung von Bodenfonds. Fakt ist, dass dann die Nachfrage nach Pachtland und damit die Pachtpreise stetig steigen werden. "Rentable Landwirtschaft ist dann nur noch auf Eigentumsflächen möglich", beschreibt der junge Farmer und ist aus diesem Grund immer wieder am Erwerb weiterer Flächen interessiert. Da die Pacht von der Bodenzahl abhängig ist, ist diese in der Gegend auf Grund der guten Böden auch hoch. Schon beim Kauf des Saatgutes gilt es immer noch, den Überblick zu behalten, was allerdings nicht immer gelingen kann.

So gibt es allein unter dem "Z-Saatgut", dem zertifizierten, eine solche Unmenge an verschiedenen Sorten, dass einem Unbeteiligten schon die Augen übergehen wie einem Kind im Bonbonladen. Immer wieder werden die verschiedensten Maissorten auf den Markt geworfen. "Ständig ist die Gradwanderung zwischen den Qualitäten und Quantitäten zu meistern", meint Dietrich. Doch hat der Liederstädter Landwirt seine Basissorten ebenso auserkoren wie seine Abnehmer. Und so fährt Bauer Dietrich, der der "Erzeugergemeinschaft für pflanzliche Erzeugnisse in Süd-Sachsen-Anhalt - Querfurt" beigetreten ist, seine Erzeugnisse entweder zur Roth Agarhandel Kirchhain in Querfurt oder liefert in das Zwischenlager der Gekra Querfurt nach Reinsdorf. Die Verträge allerdings werden jedes Jahr aufs Neue ausgehandelt, und dabei geht es manchmal hektischer zu als auf jeder Börse. Doch findet Dietrich, der seit den Jahren nach der Wende als Mitglied im Gemeinderat tätig ist, immer noch die Zeit, sich ebenso freiwillig um den Erhalt der Dorfkirche zu kümmern.

Auch wenn ihm bei aller Aufopferung manchmal die Zeit unter den Fingern wegzugleiten droht. Unterstützung erhält Dietrich Junior von seiner Frau Ulrike, die er bereits 1988 während einer Jugendtouristreise in Köln kennengelernt hat. Nach dem Fall der Mauer holte er die junge Frau nach Liederstädt, wo sie auch letztlich blieb. Nicht nur während er Erntemonate hilft die selbständige Musiklehrerin den beiden Landwirten, versorgt diese mit den Mahlzeiten auf den Feldern und erledigt notwendige Wege. Die drei kleinen Töchter hingegen sorgen immer wieder für die Unterstützung der etwas anderen Art. Bis in den November hinein. Wenn die Winterfurche gezogen wird und die Zeit anbricht, in der Maschinen und Technik der Reparatur bedürfen, Landmann Dietrich liegengebliebene Briefe beantworten und Renovierungen am Gehöft vornehmen, die Buchführung auf den neuesten Stand bringen und sich auf Seminare und Lehrgängen über neueste Richtlinien informieren kann.

Selbst wenn der Landwirt im vereinten Europa mit der Agenda 2000 auch auf einsamem Feld steht, die Zukunft düster aussieht und ein Arbeitstag von 14 Stunden in der Erntezeit die Regel ist, so zweifelt der junge Landwirt Gunter Dietrich doch nicht an seiner Entscheidung, ist es doch der eigene Betrieb, der die Familie fordert.