ITALIEN 2 von 4
VENEDIG, SPRIZZ UND CASANOVA, VAPORETTO UND MEDICI
Canal Grande, Venedig

Die knappe vier Kilometer lange Hauptwasserstrasse windet sich in einem weitem S-Bogen durch die Lagunenstadt und trennt die Stadtsechstel (Sesisteri) von den auf der rechten Stadtseite gelegenen Vierteln.

Im Mittelalter mächtige See- und Handelsrepublik, Heimat von Marco Polo, Casanova und Canaletto, zog ihr morbider Charme im 19.Jahrhundert die ersten modernen Touristen an. Heute drängen sich täglich bis zu 60.000 Besucher zwischen Markusplatz, Rialto- und Seufzerbrücke und drohen das romantische Weltkulturerbe in den Untergang zu reißen.

Bereits seit 1985 findet im Zweijahresrhythmus die Bienale statt, während die Filmfestspiele von Venedig seit 1932 mit Berlinale und dem Filmfestival in Cannes zu den drei bedeutendsten Filmfestivals weltweit zählen.

Presselandschaft

Die Medienlandschaft in Italien ist seit jeher auch von politischer Brisanz. "La Repubblica", 179 gegründet, ist eine der bedeutendsten Tageszeitungen. Die Berichterstattung gilt als gemäßigt links. 2009 stellte sich die Zeitung mit zahlreichen Veröffentlichungen um die Affären gegen den Premierminister Silvio Berlussconi.

Während Johann Wolfgang im September 1786 von Verona kommend über Vicenza und Padua Venedig erreichte, kam ich mit dem Auto von Udine aus dem Osten über die E55. Während in früheren Zeiten jedoch die Besucher noch mit Booten und Gondeln zur Lagunenstadt gebracht wurden, fuhr ich über die Ponte della Liberta, die „Brücke der Freiheit“, in die vielbeschriebene Stadt, suchte mir in einem der drei riesigen Parkhäuser einen Platz und machte mich auf in das Wirrwarr der Gassen und Hinterhöfe. K, die einige Zeit in Venedig lebte, hatte mir als einfache und preiswerte Übernachtung das Ostello Santa Fosca empfohlen. Die Jugendherberge lag zentral gelegen am nördlichen Ende der Fondamente del Forner ziemlich romantisch in einem alten Kloster. Da jedoch trotz Vorbestellung alle Einzelzimmer ausgebucht waren, musste ich mir ein Zimmer teilen. Ich blieb zwei Nächte. Mit meinem Zimmerkollegen reduzierte ich die Gespräche auf ein Minimum, da er erst in den frühen Morgenstunden das Zimmer aufsuchte und in ein einige Oktaven überstimmtes, monotones Schnarchen einfiel welches nur noch von den steten Mückensummen unterbrochen wurde, die nun ein zweites Büfett gefunden hatten.

„Von Venedig ist schon viel erzählt und gedruckt, daß ich mit Beschreibung nicht umständlich sein will, ich sage nur, wie es mir entgegenkommt. Was sich mir aber vor allem andern aufdringt, ist abermals das Volk, eine große Masse, ein notwendiges, unwillkürliches Dasein. ... Auf jede Spanne des Bodens geizig und gleich anfangs in enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gassen nicht mehr Breite, als nötig war, eine Hausreihe von der gegenüberstehenden zu trennen und dem Bürger notdürftige Durchgänge zu erhalten. Übrigens war ihnen das Wasser statt Straße, Platz und Spaziergang. Der Venezianer mußte eine neue Art von Geschöpf werden, wie man denn auch Venedig nur mit sich selbst vergleichen kann. Der große, schlangenförmig gewundene Kanal weicht keiner Straße in der Welt, dem Raum vor dem Markusplatze kann wohl nichts an die Seite gesetzt werden. Ich meine den großen Wasserspiegel, der diesseits von dem eigentlichen Venedig im halben Mond umfaßt wird. Über der Wasserfläche sieht man links die Insel St. Giorgio Maggiore, etwas weiter rechts die Giudecca und ihren Kanal, noch weiter rechts die Dogane und die Einfahrt in den Canal Grande, wo uns gleich ein paar ungeheure Marmortempel entgegenleuchten. Dies sind mit wenigen Zügen die Hauptgegenstände, die uns in die Augen fallen, wenn wir zwischen den zwei Säulen des Markusplatzes hervortreten. Die sämtlichen Aus- und Ansichten sind so oft in Kupfer gestochen, daß die Freunde davon sich gar leicht einen anschaulichen Begriff machen können.“, schrieb Goethe über seinen Besuch. Ich halte mich an seine Worte und lasse die Beschreibung dessen, was bereits zahllos beschrieben wurde.

Venedig war Handelsmacht und mittelalterlicher Wirtschaftsmotor. Lange bezog die Lagunenstadt ihre Anregungen aus Byzanz, der Metropole am Bosporus, und war sich ihrer Schönheit bewusst. Die Privatpaläste am Canal Grande, neben anderen Fontego dei Turchi, Ca’ da Mosto und Ca’ d’Oro, standen anderen Prachtbauten Vorbild. Das Licht der Lagune beeinflusste die Arbeiten des Malers Jacobo Tintoretto; Giovanni Battista Tiepolo hielt die Festlichkeiten Venedigs vor dem Niedergang der Stadt auf Leinwand fest. Der siechende Charakter der Stadt wurde Ende des 19.Jahrhundert romantisch verklärt und der morbide Charme lockte Künstler, Intellektuelle und den Adel an. Den Einwohner half dies vorerst soweit, dass die Stadt trotz ihrer Überschwemmungen, des bröckelnden Putzes und der stinkenden Gewässer zur Touristenattraktion wurde. Doch Venedig ist und bleibt eine ewige Baustelle und der Erhalt der Paläste und Gemäuer verschlingt jedes Jahr Unsummen. Indessen leben augenscheinlich mehr Studenten und Ausländer wie Donna Leon als alteingesessene Venezianer hier.

Trotz seiner zentralen Lage lag das Ostello Santa Fosca abseits und blieb von den zahllosen Touristenströmen, die das Standartprogramm mit Marcusplatz und Rialtobrücke abspulten, nahezu unberührt. Ich lief durch die verwinkelten Gassen so gut es ging parallel zum Canal Grande, über die Strada Nova, ließ die Chiesa die Santi Apostoli links liegen, schlug einige Haken im Gassenwirrwarr, musste in Sachgassen wieder umkehren und kam über die Calle Castelli an der Basilica S.Giovanni E Paolo, dem größten und bedeutendsten Sakralbau der venezianischen Gotik, heraus. In einer kleiner Cafeteria bestellte ich einen Espresso und ein Croissant, trank ihn in guter italienischer Manier im Stehen und stieß später am Campo Santa Maria Formosa in den Touristenstrom ein.

„Die Venezianer unterscheiden die Fußwege und Plätze sehr sorgsam.“ hatte ich unter Wikipedia nachgelesen. Es gab nur wenige, gepflasterte, Hauptstraßen, die als „rughe“ und „salizade“ gezeichnet werden. „Calle“ sind die engeren Straßen und „fondamenta“ die längs der Kanäle, welche auch als Fundament für die Gebäude dienen. „Lista“ wiederum ist „das Stück Weg in der Nähe der wichtigen Paläste und der Botschaften, die eine besondere Immunität genossen.“

„Gegen Abend verlief ich mich wieder ohne Führer in die entferntesten Quartiere der Stadt. Die hiesigen Brücken sind alle mit Treppen angelegt, damit Gondeln und auch wohl größere Schiffe bequem unter den Bogen hinfahren. Ich suchte mich in und aus diesem Labyrinthe zu finden, ohne irgend jemand zu fragen, mich abermals nur nach der Himmelsgegend richtend. Man entwirrt sich wohl endlich, aber es ist ein unglaubliches Gehecke ineinander, und meine Manier, sich recht sinnlich davon zu überzeugen, die beste. ... Sehr viele Häuserchen stehen unmittelbar in den Kanälen, doch gibt es hie und da schön gepflasterte Steindämme, auf denen man zwischen Wasser, Kirchen und Palästen gar angenehm hin und wider spaziert. Lustig und erfreulich ist der lange Steindamm an der nördlichen Seite, von welchem die Inseln, besonders Murano, das Venedig im kleinen, geschaut werden. Die Lagunen dazwischen sind von vielen Gondeln belebt.“ (J.W.v.Goethe, Italienische Reise)

Ich reihte mich auf der Rialtobrücke und im Dogenpalast in den Touristenstrom ein. Letzterer wurde gerade restauriert und über der Seufzerbrücke überzeugte die Schauspielerin Julianne Moore auf einem überdimensionierten Plakat einen Kakadu von Bulgari-Schmuck. Die ausbruchsicheren Bleikammern, ehemals gefürchtete Gefängniszellen, wurden durch den Ausbruch Giacomo Casanova weltberühmt und ziehen heute die Neugierigen an.

Die Ruhe Venedigs beginnt in den späten Abendstunden, wenn die Tagestouristen wieder zurück auf das Festland gefahren sind, und hält bis in die frühen Morgenstunden an. Die Gondoliere verpacken  ihre Boote und halten noch einen letzten Plausch über Gott, die Welt und die Touristen während die Wäsche nun zwischen den Häusern aufgehangen wird. Der Campanile wird nicht mehr von langen Menschenschlangen bedrängt und die Tauben auf dem Marcusplatz finden nur noch hier und da eine Amerikanerin oder einen Japaner, denen sie sich auf Arme und Schultern setzen können.

Über Venedigs berühmten Sohn Marco Polo wurde neben zahlreichen anderen Filmen mit einer Fernsehserie in den frühen 1980er ein angemessenes filmisches Denkmal gesetzt, welches sich auch den Anfängen des Abenteurers in Venedig widmet. Seit 1985 findet im Zweijahresrhythmus die Bienale statt, während die Filmfestspiele von Venedig seit 1932 mit Berlinale und dem Filmfestival in Cannes zu den drei bedeutendsten Filmfestivals weltweit zählen.

Über den Campo Francesco Morosini kam ich den Canal Grande einmal mehr überquerend zur Galleria dell’Accademia, welche K mir dringend empfohlen hatte. Das Museum beherbergt eine  umfangreiche Sammlung venezianischer Malerei von Tizian, Bellini, Tintoretto und Veronese, die mit ihren Arbeiten die Kunstgeschichte Europas nachhaltig geprägt haben. In unmittelbarer Nähe zur Galerie liegt südwestlich an der Fondamenta Nani der letzte Squero, die letzte Gondelwerft Venedigs. Überhaupt prägen die Boote seit Jahrhunderten das öffentliche Leben. Es ist ein Gedrängel und Gewusel auf den Kanälen, den eigentlichen Straßen und Gassen der Lagunenstadt. Das einträgliche Geschäft des Gondelwesen ist fest in den Händen einiger Familien, die den Job traditionell vererben. Während scheinbar unzählige rotbeplüschte Gondeln unzählige Möchtegernromantiker durch die Kanäle schippern, halten die Vaporetti den öffentlichen Verkehr aufrecht. Ohne die Linienboote, die innerhalb der Stadt und zwischen den Inseln der Lagune verkehren, würde man fast nicht vorankommen. Von früh bis spät bringen sie Anwohner und Neugierige von einer Haltestelle zur nächsten. Mächtige Kreuzfahrtschiffe drängen sich zur Attraktion vor dem Lido hindurch und stets schneiden die schmalen Polizeiboote die Wellenkronen der Lagune. Ich genoss das Schauspiel bei einem Spritz, dem beliebten Aperitif aus Weißwein, Sodawasser und Campari. K hatte mir bezüglich „La Dolce Vita“ eine Fülle an notwendigen und wichtigen Tipps gegeben. Ich fand es nur bedauerlich, dass sie es nicht einrichten konnte, mich auf der Reise zu begleiten.

„Den 6. Oktober. Heute früh war ich bei dem Hochamte, welchem der Doge jährlich an diesem Tage wegen eines alten Siegs über die Türken in der Kirche der heiligen Justina beiwohnen muß. Wenn an dem kleinen Platz die vergoldeten Barken landen, die den Fürsten und einen Teil des Adels bringen, seltsam gekleidete Schiffer sich mit rot gemalten Rudern bemühen, am Ufer die Geistlichkeit, die Brüderschaften mit angezündeten, auf Stangen und tragbare silberne Leuchter gesteckten Kerzen stehen, drängen, wogen und warten, dann mit Teppichen beschlagene Brücken aus den Fahrzeugen ans Land gestreckt werden, zuerst die langen violetten Kleider der Savj, dann die langen roten der Senatoren sich auf dem Pflaster entfalten, zuletzt der Alte, mit goldener phrygischer Mütze geschmückt, im längsten goldenen Talar mit dem Hermelinmantel aussteigt, drei Diener sich seiner Schleppe bemächtigen, alles auf einem kleinen Platz vor dem Portal einer Kirche, vor deren Türen die Türkenfahnen gehalten werden, so glaubt man auf einmal eine alte gewirkte Tapete zu sehen, aber recht gut gezeichnet und koloriert. Mir nordischem Flüchtling hat diese Zeremonie viele Freude gemacht. Bei uns wo alle Feierlichkeiten kurzröckig sind, und wo die größte, die man sich denken kann, mit dem Gewehr auf der Schulter begangen wird, möchte so etwas nicht am Ort sein. Aber hierher gehören diese Schleppröcke, diese friedlichen Begehungen. Der Doge ist ein gar schön gewachsener und schön gebildeter Mann, der krank sein mag, sich aber nur noch so, um der Würde willen, unter dem schweren Rocke gerade hält. Sonst sieht er aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts und ist gar hold und leutselig; die Kleidung steht sehr gut, das Käppchen unter der Mütze beleidigt nicht, indem es, ganz fein und durchsichtig, auf dem weißesten, klarsten Haar von der Welt ruht. Etwa funfzig Nobili in langen dunkelroten Schleppkleidern waren mit ihm, meist schöne Männer, keine einzige vertrackte Gestalt, mehrere groß, mit großen Köpfen, denen die blonden Lockenperücken wohl ziemten; vorgebaute Gesichter, weiches, weißes Fleisch, ohne schwammig und widerwärtig auszusehen, vielmehr klug, ohne Anstrengung, ruhig, ihrer selbst gewiß, Leichtigkeit des Daseins und durchaus eine gewisse Fröhlichkeit.“ (J.W.v.Goethe, Italienische Reise)

Venezianische Maske

Der "Carnevale di Venezia" geht auf das Jahr 1094 zurück und gehört zu den bekanntesten Attraktionen der Stadt.

Gondelschwert

Ursprünglich als Gegengewicht zum Gondoliere gedacht, dient der Bugbeschlag heute als Schmuck und Symbol der venezianischen Gondeln.

Pescheria, der Fischmarkt

Bereits seit dem 14.Jahrhundert wird ein Fischmarkt am Canal Grande abgehalten. Das neogotische Gebäude mit seinen Arkarden entstand 1907.

Der letzte Squero

Die letzte Gondelwerft befindet sich heute im Stadtteil Dorsoduro bei San Trovaso.

Rialtobrücke

Die berühmte Brücke wurde im März 1591 für den Verkehr freigegeben und war bis 1854 die einzige Fußgängerbrücke über den Canal Grande.

San Giorgio Maggiore

Fast ein Jahrtausend lang war die Stadt als Republik Venedig eine der bedeutendsten wirtschaftlichen und politischen Mächte in Europa.