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Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, / Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, / Kennst du es wohl? / Dahin! Dahin / Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, / Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, / Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: / Was hat man dir, du armes Kind, gethan? / Kennst du es wohl? / Dahin! Dahin / Möcht’ ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? / Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg; / In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; / Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth, / Kennst du ihn wohl? / Dahin! Dahin / Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!
Johann Wolfgang von Goethe
Auf Sizilien gibt es keinen Kompromiss, nichts Ausgleichendes. Hier ist alles extrem: Verbrannte Erde und üppige Blüten, sich aufopfernde Liebe und tödlicher Hass, undurchdringliche Verschlossenheit und einladenede Gastlichkeit. Der Sizilianer vereint in sich alle Temperamente seiner verschiedenen Vorfahren.
Seit den Zeiten des griechischen Dichters Homer ist das Sinnbild der Mittelmeerinsel Sizilien die „Trinacria“. Es bedeutet „Drei Vorgebirge“. Das Emblem mit Mädchenkopf, kleinen Flügeln, Schlangen und angewinkelten Beinen ist das alte Symbol des Sonnenrades. Die Schlangen stehen für die Weisheit des Vaters der Medizin, Äskulap. Die Flügel sind die von Hermes, dem fröhlichen Götterboten. Der hielt seine schützende Hand über Diebe, Lügner, Betrüger, Kaufleute und Reisende. Für die Römer war Trinacria das Abbild der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres.
Sizilen 180 Kilometer von Afrika entfernt, am Rande Europas und gleichzeitig am unteren ende des inner-italienischen wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälles ist vielen nur als „Mafia“ Heimat und wirtschaftliche Misere bekannt. Sizilien und die Sizilianer besser verstehen, erfordert nicht nur die Beschäftigung mit einer Geschichte von über Jahrhunderte anhaltenden „Eroberungen“ durch Fremde, mit der Geschichte der Ausbeutung von Mensch und Land. Es erfordert die Bereitschaft, sich für den Alltag zu interessieren und sich auf ihn einzulassen. Die beträchtliche Anzahl sizilianischer Frauen und Männer, die arbeitssuchend in den 1970er Jahren nach Deutschland gekommen und inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt ist, ermöglichen dem wirklich interessierten Reisenden das Eintauchen, gern auch mal in Deutsch.
Den Namen Sizilien hat diese größte der Inseln im Mittelmeer sicher von ihren Ureinwohnern, den Sikulern und Sikanern. Aber schon im 8.Jahrhundert vor Christus gründeten die alten Griechen im Osten der Insel ihre ersten Kolonien. Die Griechen wurden von den Römern abgelöst. Und die wiederum von den Byzantinern. Dann kamen die Araber, Normannen, Staufer, Franzosen und schließlich die Spanier, bevor alles endgültig italienisch wurde.
Bei soviel wechselndem Besuch blieb eine ganze Menge zurück. Der Grund, warum Sizilien auch Kunstliebhaber anzieht, ist geschichtlich bedingt. Gründe für Bewunderer antiker Kulturen liegen im Tempeltal von Agrigent, den römischen Mosaiken von Piazza Armerina, den Tempeln von Segesta und Selinunt, die griechischen und römischen Theater von Syrakus, Taormina und Tyndaris, die Kathedralen von Palermo und Monreale, die barocke Kunst von Catania und Erice.
Berühmte Sizilianer sind u. A. Archimedes, Vincenzo Bellini, Leonardo Sciascia, Andrea Camilleri, Giovanni Falcone, Paolo Borsellino, Giuseppe Tornatore und Salvatore Schillaci. Weitere bekannte Personen Siziliens sind in der Liste bekannter Sizilianer aufgeführt.
Dass man auf Sizilien wenig übers Wetter redet. Liegt daran, das es praktisch immer hervorragend ist: Der Winter ist kurz und mild, und entsprechend lang ist der Sommer: von April bis Oktober. Natürlich ist es im Hochsommer recht warm. Im frühen Sommer und Herbst weht der Scirocco das Original und nicht die Automarke aus der Sahara herüber. Der gleichmäßige heiße Wüstenwind trägt den Saharasand in gelblich-grauer Färbung Richtung Mittelmeer, regelmäßig über Sizilien hinweg und bis zur Ablagerung in die Alpen.
Rund fünf Millionen Einwohner bevölkern zumeist die großen Städte Catania, Messina und Palermo. Das Größte aber ist der Berg der Berge, der „Mongibello“, wie die Sizilianer sagen. Der Ätna ist mit etwa 3.300 Metern eine schlafende Katastrophe, eine präzise Angabe zu seiner Höhe ist aufgrund seiner ständigen Ausbrüche nicht möglich. Das gewaltige Bergmassiv beherrscht optisch den gesamten Osten der Insel. Durch Jahrtausende hindurch hat der mächtige Vulkan immer wieder seine Anrainer in Angst und Schrecken versetzt. Andererseits aber hat er den Bauern überaus fruchtbaren Boden beschert.
Während in den oberen Regionen eine wüste Kraterlandschaft aus Lavagestein und vulkanischem Sand vorherrscht, finden sich weiter unten Pinienwälder und schließlich Orangen- und Zitronenhaine und blühende Gärten. Eine Ätnabesteigung ist auch heute noch eine Hochtour mit allen Risiken. Wind und plötzliche Kälteeinbrüche sowie Stürme und überraschende Gewitter sind nicht selten.
Neben dem Tourismus ist Sizilien stark durch seine Landwirtschaft geprägt, die eine stärkere Rolle als in Norditalien spielt. Der industrielle Sektor ist hingegen von vergleichsweise geringer Bedeutung. Im hügeligen, wasserarmen Landesinneren wird extensive Landwirtschaft in Form von Weidewirtschaft, Weizen- und Bohnenanbau betrieben. An der Küste können durch die dort besser gewährleistete Bewässerung Zitrusfrüchte, Weinreben, Mandeln, Oliven und sogar Baumwolle angebaut werden, so dass die Herstellung von Wein und Olivenöl ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig Siziliens ist. Die von Sizilien aus betriebene Küsten- und Hochseefischerei, die es besonders auf Thunfisch und Sardellen abgesehen hat, macht ein Viertel der gesamten italienischen Fischerei aus. Der einst wichtige Schwefelbergbau (zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Insel so gut wie Weltmonopolist) ist in den 1980er Jahren vollständig zum Stillstand gekommen.
Sizilien ist derzeit mit dem Festland über Fähren verbunden. Nach jahrzehntelanger Diskussion sollte eine Brücke über die Straße von Messina (Il Ponte sullo stretto) eine Landverbindung zur italienischen Halbinsel herstellen. Sie sollte mit 3300 m Länge die bis dahin längste Hängebrücke der Welt werden. Ausgelegt ist sie für 140.000 Fahrzeuge auf sechs Fahrstreifen und 200 Züge auf zwei Gleisen pro Tag. Das Projekt war allerdings wegen Erdbebengefahr, Einflussnahme der Mafia und Einwirkungen auf die Umwelt umstritten. Die Insel leidet seit Jahren unter mehreren Strukturproblemen wie hoher Arbeitslosigkeit, Korruption, mangelnder Verkehrsinfrastruktur, Umweltschäden, Wasserknappheit und der Mafia.
Catania: Die Geschichte der Stadt ist eine Kette von Kämpfen mit fremden Mächten und der Natur. Die größten Katastrophen waren sicher der Ausbruch des Ätna im März 1669, als sich ein Lavastrom von 15 Kilometer Länge breit und unaufhaltsam durch die Stadt wälzte und sie zweiteilte. Vierundzwanzig Jahre später erschütterte ein Erdbeben die Stadt und tötete zwei Drittel der Einwohner. Die letzte schlimme Zerstörung erlitt die Stadt 1943, als die Amerikaner die Invasion Siziliens vorbereiteten und die Stadt mit einem Bombenteppich belegten.
Syrakus: Die Geschichte der Haupt- und Hafenstadt einer sizilianischen Provinz begann im achten Jahrhundert vor Christus, als sich genau dort griechische Kolonisten niederließen. Entsprechend der langen Geschichte bietet die Stadt eine große Anzahl archäologischer Sehenswürdigkeiten. Die in eine Gartenanlage umgewandelten ehemaligen Steinbrüche gehören ebenso dazu wie das „Ohr des Dionysus“ mit seiner verblüffenden Akustik.
Piazza Armerina: Erst 1950 wurden die mehr als vierzig Mosaik-Fußböden der römischen Villa dèl Casale freigelegt. Diese Mosaiken gehören zu den schönsten aber auch informativsten Darstellungen aus der römischen Epoche Besonders die römischen „Bikini-Mädchen“ gingen nach der Ausgrabung durch die Presse.
Agrigent: Die mit ehemals 600.000 Einwohnern zählende Stadt war ein Zentrum des kulturellen Lebens der Insel. Heute ist es eine Provinzhauptstadt mit etwa 55.000 Menschen. Das „Tal der Tempel“ ist eine der ausgedehntesten und am besten erhaltenen Stätten aus der Epoche der alten Griechen.
Taormina: Der absolute touristische Höhepunkt. Die auf einem Hochplateau an der Steilküste liegende Stadt zieht mit ihren Zypressen und Palmen, Blumen, Gärten, Buchten und Inselchen, Zitronen und Stränden Touristen an und bedient auf ideale Weise das Klischee des Südens.
„Setzt man sich nun dahin, wo ehmals die obersten Zuschauer saßen, so muß man gestehen, daß wohl nie ein Publikum im Theater solche Gegenstände vor sich gehabt. Rechts zur Seite auf höheren Felsen erheben sich Kastelle, weiter unten liegt die Stadt, und obschon diese Baulichkeiten aus neueren Zeiten sind, so standen doch vor alters wohl eben dergleichen auf derselben Stelle. Nun sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätna hin, links das Meerufer bis nach Catania, ja Syrakus; dann schließt der ungeheure, dampfende Feuerberg das weite, breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist. Wendet man sich von diesem Anblick in die an der Rückseite der Zuschauer angebrachten Gänge, so hat man die sämtlichen Felswände links, zwischen denen und dem Meere sich der Weg nach Messina hinschlingt. Felsgruppen und Felsrücken im Meere selbst, die Küste von Kalabrien in der weitesten Ferne, nur mit Aufmerksamkeit von gelind sich erhebenden Wolken zu unterscheiden. Wir stiegen gegen das Theater hinab, verweilten in dessen Ruinen, an welchen ein geschickter Architekt seine Restaurationsgabe wenigstens auf dem Papier versuchen sollte, unternahmen sodann, uns durch die Gärten eine Bahn nach der Stadt zu brechen.“ (J.W.v.Goethe, Taormina, Montag, den 7. Mai 1787)
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