VITZENBURG

Von den dicht bewaldeten Höhenzügen gedrängt, beschreibt die Unstrut am Fuße des Felsen einen weiten Bogen, bevor sich der Fluß im Südosten zwischen den Schilfhalmen verliert. Das Gewässer ist reich an Fischen und die dunklen Wälder bergen wilde Eber ebenso wie Bären und Wölfe. Aber auch Krankheit und Tod lauern im Sumpfland - in den sommerlichen Mückenschwärmen oder den ständigen Überschwemmungen des Frühjahrs. 

Auf der anderen Seite der Schlucht - eben flußaufwärts - leben die mächtigen Franken. Und hier am Unstrutbogen liegt das Tor zum Reich der Thüringer. Der Schlüssel zur nahen Königsburg Skidingi (Burgscheidungen). Mahnend erhebt sich auf dem Sandsteinfels hoch über der Unstrut der Wachturm der thüringischen Krieger. Ständig besetzt, entgeht den Wachen von der „Fizenburc“ keine Bewegung in der Umgebung. Einzelne germanische Ansiedlungen liegen verstreut im Tal umher. Aber auch an den Rändern der Wälder, in denen auch allerlei Waldgeister leben.

Die ersten Siedler und Kriege - Hersfelder Zehntverzeichnis

Viel Wasser fließt die Unstrut nach dem Untergang des Thüringer Reiches 531 hinunter bis zur Saale. Der Wachturm hoch über dem Fluß wird zur Burg ausgebaut. Später zur Reichsburg erhoben, dann Kloster. Doch die frivolen Nonnen bleiben nicht lange hier und die Anlage wechselt während der Jahre immer wieder die Besitzer. Bränden, Pest und Krieg trotzt die Vitzenburger Anlage bis heute und beeinflußt in erster Linie die 1100jährige Geschichte des kleinen Ortes am südlichen Rand des Landkreises Merseburg-Querfurt.

Nach der Schlacht bei Skidingi fällt die Gegend nördlich der Unstrut den Sachsen zu. Diese jedoch hält es nicht lange und so ziehen sie 568 mit den Langobarden auf die Eroberungszüge in die warme Lombardei (Norditalien). Schwaben, Friesen und Hosinger besetzen die Gegend. Vitzenburg im Hosgau liegt nahe der Grenze zum Friesenfeld. Neben dem alten, nun fränkischen Kastell „Viceburg“ stiftet König Dagobert, der 639 stirbt, ein Jungfrauenkloster. Die Klosterkirche wird dem Märtyrer Dionysius geweiht. Die Pfarrkirche außerhalb der Mauern, dem Täufer Johannes gewidmet, hat zusätzlich die Ansiedlungen Krautdorf bei Liederstädt, Pretitz und Weißenschirmbach geistlich zu versorgen.

In den nachfolgenden Jahren fallen immer wieder slawische Stämme, insbesondere die Wenden, in die fränkische Provinz Thüringen ein. Und immer wieder kommt es zu schweren Kämpfen zwischen den Wenden unter dem ehemals fränkischen Kaufmann Samo und den Heerscharen Dagoberts. Der Thüringer Radulf, dem es 633 gelingt, die Slawen über die Saale zurückzudrängen, wird dafür vom fränkischen König zum Herzog erhoben. Doch rücken immer weitere slawische Sippen nach und erobern friedlich in der Gegend um den Unstrutbogen westlichen Lebensraum.  

Zingst, Kleinwangen, Nebra und Schmon entstehen. Um nun jedoch die fränkische Herrschaft abzuschütteln, erhebt sich Radulf 8 Jahre später. Den fränkischen Ansturm erwartet der kampferprobte Herzog in einer Burg in der nahen Steinklöbe. Den Franken unter dem noch im Knabenalter stehenden Sigibert wird so lange zugesetzt, bis diese die Waffen strecken. In der Folge wird die fränkische Herrschaft wird nur noch formal anerkannt.

Bonifatius, der „Apostel der Franken und Thüringer“, wird um 675 in Wessex geboren. Vom Papst Gregor II. 719 mit der Christianisierung der Ungläubigen im deutschen Siedlungsgebiet beauftragt, bringt der Benediktinermönch 721 auch den thüringischen Heiden das Wort Gottes. Der Angelsachse Wigbert setzt zwischen 724 und 732 das Werk fort und organisiert das Kirchenwesen. 814 wird das Bistum Halberstadt gegründet und die Gegend um die Vitzenburg diesem zugewiesen. Erstmals wird der Ort im Hersfelder Zehntverzeichnis um 900 erwähnt. Langsam verschwinden auch die letzten weißen Flecken auf den christlichen Landkarten.  

Im Jahre 962 wird Otto I. zum ersten Kaisers des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ gekrönt. Bereits 967 krönt der Vater seinen Sohn zum (Mit-)Kaiser. 6 Jahre nach dem Tode Otto I. stiftet Otto II. 979 seinem Vater zu Ehren ein Kloster in der Pfalz Memleben. Großzügig erweist sich der Herrscher, als er das Recht des Zehnten von der Hersfelder Reichsabtei auf das Kloster Memleben überschreibt. In weit geschwungenen Lettern stehen die Lehen auf der Schenkungsurkunde. Auch die „Uitzanburch“ steht neben den anderen Burgen und Gütern.  

Graf Wiprecht von Groitsch, im kaiserlichen Besitz und Klosterverlegung

Als in den kalten Januartagen 991 Kaiser Otto III. zu Allstedt eine Urkunde ausstellen läßt, sind der edle Brun aus dem Geschlecht der Edlen von Querfurt und dessen Gemahlin Adilint von der Vitzenburg bereits verstorben. Reich bedachten sie das neu gegründete Nonnenkloster über der Unstrut mit Ländereien. Neben den nächst gelegenen Burgäckern sind u.a. auch Güter mit den zugehörigen Leibeigenen in Liederstädt, Zeuchfeld und Reinsdorf auf dem Papier verzeichnet. Nach dem Tod des edlen Brun wird der Sohn Amalung Burgherr und Schirmvogt auf dem Berge. In seiner alleinigen Macht auf der Vitzenburg wird er von der Äbtissin Thietburg und deren Nonnen bestätigt.  

Im Jahre 1095 ruft Papst Urban II. mit flammenden Worten zum Krieg gegen die Ungläubigen auf und tritt den 1.Kreuzzug los. Und auch erst um 1100 taucht der nächste Burgherr auf der Vitzenburg auf. Der ebenso edle wie reiche Ritter Vizo de Vizenburg tritt nicht nur als Herr, sondern auch als Namenspatron in Erscheinung. Jedoch können ebenso, verschiedenen Quellen zufolge, die gleichmäßig gelagerten Sandsteinschichten unterhalb der Burg, ähnlich einem Gebinde oder „Fitze Garn“ (mhd. vitze) für den Namen verantwortlich sein.

Ritter Vizo überschreibt seine Güter vor seinem Tod 1106 seinem Verwandten, dem Markgrafen Wiprecht von Groitsch. Durch seine Vermählung mit Kunigunde aus Beichlingen befindet sich der Graf auch in thüringischem Besitz und gründet im sächsischen Pegau ein Kloster. Das Vitzenburger Erbe weist der gottesfürchtige Haudegen seiner bereits zum zweiten mal verwitweten Mutter Sigena und einer Nichte seines Stiefvaters, des Grafen Friedrich von Lengefeld, als Wohnsitz zu. Doch Wiprecht selbst legt so ungewollt die Axt an das Nonnenkloster.  

Im Gegensatz zum stillen, tristen Klosterleben zeigt sich die junge Dame allzu weltoffen. Ihre lasterhafte Gesinnung schlägt bald auf die Nonnen über. Die Gebete werden bald kürzer gefaßt und die Konversation mit den nahen Burgmannen vertieft. „Sic transit gloria mundi - So vergeht der Ruhm der Welt!“ Tiefe Zornesfalten stehen wohl Graf Wiprecht auf der Stirn, als er das Kloster durch Boten von den Nonnen räumen läßt. Der hochangesehene Bischof Otto von Bamberg rät dem Vogt, das Kloster mit Mönchen zu besetzen. 1109 kommen auf Fürsprache des Corveyer Abtes der Benediktinermönch Ludiger und seine Glaubensbrüder in das Kloster.  

Im Streit um die Erbschaften der Grafen von Orlamünde mit dem Kaiser Heinrich V. wird Markgraf Wiprecht verhaftet. Heinrich, der als letzter aus dem Haus der Salier 1125 in Utrecht stirbt, verurteilt ihn selbst zum Tode wegen Empörung. Wiprecht kann mühsam seinen Hals vor dem Beil des Scharfrichters retten; nicht jedoch seine Güter, die er 1113 dem Kaiser abtreten muß. Graf Wiprecht stirbt 1124.

Voller Wohlwollen übereignet der Kaiser 1121 die Vitzenburger Abtei dem Hochstifte Bamberg, „um die mannigfachen Dienste des Bischofs Otto zu belohnen“. Die regen Waffenübungen und Gefechte der nahen Burg bringen aber auch den Mönchen nicht die erhoffte Ruhe und wirken sich eher nachteilig auf die Benediktiner aus. Als zudem ständiger Wassermangel die Lage auf dem Berg unerträglich macht, wird das Kloster auf Anraten Ottos an den Westrand des Dorfes Regenherestorf verlegt. 1123 bestätigt Papst Calixt II. die Klosterverlegung. Der Klosterbau wird mit Eifer vorangetrieben und kurz darauf weiht Otto von Bamberg in der neuen Klosterkirche drei Altäre. Mit großzügiger Geste überträgt er den Zehnten aller noch zehntfreien Menschen Thüringens und Sachsens und weite Gebiete an Wäldern und Land. 

Quälende Mückenschwärme begleiten in den Folgejahren die Benediktiner, wenn diese mühsam die versumpften Unstrutwiesen entwässern. Weite Waldgebiete werden gerodet und landwirtschaftlich genutzt. Ortschaften werden erweitert und neu gegründet. Sämtliche Rebanpflanzungen im Tal sind auf die Mönche zurückzuführen. Wie auf der Vitzenburg wird auch wieder Bier gebraut, diesmal „Made in Reinsdorf“; Bienen werden ebenso gezüchtet wie Rinder und Schweine. „Ora et labora - Bete und arbeite“ - den Brüdern des um 529 vom Benedikt von Nursia gegründeten Ordens fällt der Verdienst zu, das umliegende Land kultiviert zu haben.

Die Vitzenburg fällt nach Kaiser Heinrichs Tod an das Haus Wettin. Des Kaisers Tochter Bertha ist mit dem Grafen Dedo von Wettin vermählt. Nach Wiprecht von Groitsch führt der Sohn Heinrich die Geschicke auf der Burg bis 1136. Die Lehnsherrschaft behält das Wettiner Haus.

Das Haus Wettin, thüringische Kriege und Hans von Selmenitz

Man schreibt das Jahr 1162, als Kaiser Friedrich I. seinen 2.Italienfeldzug beendet. Auf dem 3.Kreuzzug ins gelobte Land findet er 1190 in den Fluten des Saleph den Tod. Der 5.Kreuzzug 1228 bringt dem Okzident die Herrschaft über Jerusalem. 1229 krönt sich Kaiser Friedrich II. zum König von Jerusalem. Der große Staufer stirbt 1250. Beide Kaiser leben seitdem auf dem nahen Kyffhäuser in der Kaisersage weiter. 1270 endet der 7. und letzte Kreuzzug unter Ludwig dem Heiligen verlustreich ohne Erfolg. 

Die Herren auf der stark ausgebauten Festung wechseln in diesen Jahren rasch und benennen sich nach der Burg. Der edle Herr Iggold von 1162 bis 1173. Von 1194 bis 1207 herrscht Adalschalk, von 1264 bis 1269 Meinher aus dem Geschlecht derer von Querfurt. Die Vorburg der Feste erstreckt sich weit nach Osten. Eine Zugbrücke schützt die mittlere Burg und den dahinter liegenden Burgteil.

Heinrich von Raspe, Landgraf von Thüringen, wird vom Staufer Friedrich II. 1242 zum Reichs­verweser in Deutschland bestellt. Bei der Belagerung von Ulm stirbt der Letzte aus dem Adels­geschlecht der Ludowinger 1247. Schwarz ziehen die Rauchschwaden im folgenden thüringischen Erbfolgekrieg die Unstrut entlang.

Kurze Zeit setzt sich Graf Siegfried von Anhalt auf der Vitzenburg fest. Doch werden ihm die gleich zu Kriegsbeginn angeeignete Feste, ebenso wie andere nordthüringische Burgen entzogen. Im Sühnevertrag von Weißenfels wird am 01.07.1249 festgelegt, daß alle im Fürstentum Thüringen aufgeführten neuen Burgbauten zu zerstören seien. Auch der Name der Vitzenburg taucht in dem Dokument auf. Doch schon zu Beginn des 14.Jahrhunderts betreten die Schenken von Saleck (von Vitzenburg) das historische Parkett der Burg, was darauf schließen läßt, daß man es mit der Einhaltung von Verträgen auch schon in Vorzeiten nicht so genau nahm. 

Als „dominus castri Vitzenburg“ bezeichnet sich ausdrücklich Bruno III., edler Herr von Querfurt, 1317 und 1326. Vom Erzbischof Otto von Magdeburg erhält der in gleichem Maße edle Busso später das Areal und gelobt dafür seinem Lehnsherrn und Metropoliten nicht nur Treue, sondern auch Beistand gegen seine Feinde. Das Querfurter Geschlecht behauptet sich insgesamt 147 Jahre. Einer der letzten auf der Vitzenburg ist Protze I. Im Jahre 1351 wird die Dorfkirche „Ecclesia Sti. Johannis Baptistae“ zum ersten mal schriftlich erwähnt.  

Auch die Vitzenburg wird von den Ereignissen der Hussitenkriege (1419 - 1436) beeinflußt. Nachdem Protze I. 1426 in Aussig im Kampf fällt, werden die Söhne vom Herzog Friedrich von Sachsen mit der Anlage belehnt. Gegen die böhmische Bedrohung zieht auch Hans von Selmenitz ins Feld. Während der Schwarzburger Fehde von 1450 wird das Familiengut eingeäschert. Von Selmenitz läßt Haus und Hof zwar wieder aufbauen, verkauft dann aber an Kunz von Breitenbach.  

Von Selmenitz erwirbt 1464 die Vitzenburger Anlage. 5000 blanke Gulden legt der neue Herr auf den Tisch. Der Kauf schließt neben dem Schloß auch Äcker, Wein- und Hopfengärten, Wiesen, Fischereien und die Ortschaften Liederstedt, Eichstedt, Gölbitz, Pretitz, Wangen sowie Stachelroda ein. Zusätzlich der Frondienste, Lehen und Zinsen samt Grund- und Gerichtsherrschaft. Die mit Malsteinen versehenen Grenzen der Grundherrschaft sind im Kaufbrief genau angegeben. Dies soll auch der erste urkundliche Beweis für die Gerichtsbarkeit sein, deren eigentlicher Ursprung sich jedoch im Dunkel verliert. Die Oberlehnschaft bleibt indessen in den Händen derer von Querfurt. 

Die 19 Jahre, die von Selmenitz auf der Vitzenburg verlebt, sind geprägt von altritterlichen Spielen. Hell leuchten die Fackeln in sternklaren Nächten über die Feste und fröhlichen Trinkgelage. Jagden in den nahen Forsten dienen ebenso zur köstlichen Unterhaltung. 4 Tage nach dem Tode seiner Frau stirbt 1483 auch von Selmenitz und wird vor dem Altar der Vitzenburger Kirche beigesetzt. Ein Jahr darauf folgt auch der Sohn Friedrich ins Grab. Der Jüngste, Hans II., diente als herzoglicher Hauptmann in Quedlinburg, reiste mit Herzog Wilhelm von Sachsen ins terra sancta - das gelobte Land und mit Brun von Querfurt nach Rom. 1484 tritt er das Erbe an. In der Belagerung von Halberstadt durch des Magdeburger Erzbischof’s Truppen, dient er 1486 als Feldküchenmeister. 

Bartolomëu Diaz umschifft im Winter 1487/88 als erster Europäer das Kap der Guten Hoffnung und der Ritter von Selmenitz erweitert seinen Besitz um Schmon, Grockstädt und Spielberg für 6000 Gulden von Hans von Minkwitz.

Von Selmenitz und von Lichtenhain, Brand und Bauernkrieg

Das Jahr 1492 soll ein recht ereignisreiches Jahr werden. Während Christopher Kolumbus die Neue Welt und die Indianer entdeckt, bricht im Herbst auf der Vitzenburg beim Malzdörren ein Feuer aus. Rasch greifen die Flammen um sich und ehe der Brand gelöscht werden kann, sind das Pfarrgehöft und die mit Stroh gefüllten Scheunen und Ställe niedergebrannt - das Vorschloß fast ganz vernichtet. 

Mit Bruno VIII. dem Älteren stirbt am 26.02.1496 das Geschlecht der Edlen von Querfurt aus. Das im Besitz der von Selmenitz befindliche Schloß Allstedt fällt wieder an den Herzog von Sachsen und Sohn Heinrich erhält als Ausgleich das Gut Kleineichstädt. Am 25.Juni 1498 stirbt unerwartet Heinrich mit 26Jahren. Seine Frau Elisabeth aus Gleina war ihm einige Monate zuvor in die Ewigkeit vorgegangen. So treten 1504 nach dem Ableben des alten Hans II. die Enkel Hans und Friedemann das Erbe an. Diese sind jedoch noch nicht volljährig und so wird Onkel Wolff von Selmenitz zum Vormund bestimmt.

Im krassen Gegensatz zu seiner frommen Felicitas steht Wolff mit seinem herrischen und brutalem Wesen. Einer Rauferei nie abgeneigt, spricht man noch Jahre später von seinen Umtrieben. So überfällt Wolff in Raubrittermanier Erfurter Kaufleute auf ihrem Weg zur Leipziger Messe und „erleichtert“ diese um 10.000 Gulden an Waren, um auf seine Weise die Hinrichtung eines seiner Boten zu begleichen.

1516 verpfändet er die Burg an den Abt von Sittichenbach auf 6 Jahre und zieht mit seiner Familie nach Halle. Nach dem gewaltsamen Tode Wolffs fällt der frommen Felicitas ein Teil der Vitzenburg und das Dorf Liederstedt zu. Des jungen Martin Luthers Thesen fegen in jenen Jahren wie ein Sturm über das Land. Im November 1520 erscheint seine Schrift „Von der Freiheit eines Christen­menschen“, mit welcher er den größten Teil des Volkes für sich gewinnen kann. Auch Felicitas ist von den Lehren des wortgewaltigen Theologen angetan und legt 1523 (Luther übersetzt gerade das Alte Testament auf der Wartburg) das Bekenntnis zum reinen Evangelium ab. In der Kirche zu Glaucha empfängt sie das Abendmahl aus den Händen des 33jährigen Thomas Münzer. Mit diesem Schritt schafft es Felicitas, mit der Kirche spinnefeind zu werden. Erzbischof Albrecht von Magdeburg stellt sie vor die Wahl: Rückkehr zum Papsttum oder Landesverweis. Felicitas bleibt auf Anraten Luthers in Halle.

Die inzwischen mündigen Kinder Hans und Friedemann von Selmenitz übernehmen nun die Vitzenburg. Doch gelingt es ihnen nicht, die Mißwirtschaft der vergangenen Jahre zu beheben. So sehen sie sich 1521 genötigt, ihrem Onkel Joachim von Lichtenhain (Bruder ihrer Mutter Elisabeth) das Anwesen für 3000 Gulden zu verkaufen. Der neue Name soll nun bis 1649 Vitzenburger Geschichte schreiben.  

Doch beginnt die Ära der von Lichtenhains auf der Vitzenburg erst einmal recht turbulent. Die krassen Gegensätze der letzten Jahre spitzen sich immer weiter zu. Nicht nur unerträgliche, sondern ebenso unsinnige Frondienste werden von Bauern und Untergebenen gefordert.

Luthers Evangelium dient als Zündholz im immer dunkler werdenden Reich und der junge Rebell Münzer gießt mit seinem Auftreten Öl ins mitteldeutsche Feuer. Überall im Land brechen Aufstände aus. Im Odenwald, bei Heilbronn und in Tirol. Die Aufständischen fordern einzig die Wiederherstellung der alten Rechte. Das Kloster Reinsdorf - die Benediktinerleistungen der Gründer­jahre sind verblaßt in den wohlgefälligen Ablässen letzter Zeit - wird ebenfalls Ziel der Ausschreitungen.  

Bauern aus Kleinwangen und Gölbitz erheben 1525 ihre Dreschflegel und Sicheln und ziehen nach Reinsdorf. Fast ein Dutzend Pretitzer beteiligen sich wagemutig an dem Aufruhr. Hans Pirner aus Krautdorf bei Liederstedt wird mit dem Meßbuch unterm Arm und dem Räucherfaß in der Linken gefaßt und auf der Vitzenburg inhaftiert. Die Burg bleibt von den Übergriffen verschont. Das Kloster im Tal geht in Flammen auf. Zahlreiche Mönche danken dem Herrn, wenn sie mit einigen Blessuren davonkommen. Einige haben solches Glück nicht. Das nahe Kloster Memleben ereilt das gleiche Schicksal. Luther ruft, trotz anfänglicher Verständnis für die Anliegen der Bauern, die Fürsten angesichts der Greuel „wider die räuberischen und mordenden Rotten der Bauern“ auf.  

Und so kommt nach der verlorenen Schlacht bei Frankenhausen auch die Vergeltung über die Aufständischen. Herzog Georg I. der Bärtige (1471-1539), ein strenger Verwalter der albertinischen Lande, geht streng zu Gericht. Sein Verwalter im Unstruttal, der Amtmann Christoph von Taubenheim, fordert nicht nur die Namen der Rädelsführer, sondern belegt jeden Untertan mit 14 Tagen Frondienst „alle Jahr ... auf alle Zeiten.“ Insbesonders die Liederstedter sind von den Auflagen stark betroffen, verloren doch die Meisten durch die Kriege ihre Habe. So verwendet sich Joachim von Lichtenhain persönlich für seine Untertanen und wendet sich an den Herzog. Dieser läßt Gnade vor (eigenem) Recht walten und mildert die Strafe. Die Pretitzer indessen bleiben flüchtig, andere Aufrührer fielen schon in der Schlacht von Frankenhausen.

Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg

Das Zeitalter der Reformation wird von den Fürsten blutig beendet. In der Folgezeit soll es ihnen gelingen, ihre Macht im deutschen Land erheblich zu festigen. Anfang September 1539 werden die Kirchenbestände des Amtes Freyburg überprüft. Vitzenburg kann laut den Visitationsprotokollen gleich zwei Kirchen aufweisen. Schloß- und Pfarrkirche. 1540 wird die vorjährige Überprüfung nochmals überprüft. Die Existenz beider Kirchen wird bestätigt. Doch wird auch die Eigenständigkeit der Dorfkirche aufgehoben und dem Reinsdorfer Pfarramt übertragen. 

Die Wahrung des Glaubens und politische Selbständigkeit setzt sich der 1531 von protestantischen Fürsten und Reichsstädten bei Schmalkalden geschlossene Bund gegen Kaiser Karl V. und die katholischen Stände zum Ziel. In der Schlacht bei Mühlberg 1547 siegen die Truppen Kaiser Karl V. über die verbündeten Heere des Schmalkaldischen Bundes. Infolge dessen fällt die albertinische (herzogliche) Linie an den Kurhut und der thüringische Kreis, so auch die Gegend um die Vitzenburg, fällt Kursachsen in die Hände. Am 25.09.1555 wird im Augsburger Religionsfrieden der Grundsatz „cuius regio, eius religio“ entwickelt - den weltlichen Reichsständen Glaubensfreiheit und Reformationsrecht zugesichert.

Nun, auch an der Vitzenburg geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Joachim von Lichtenhain hinterläßt keine Erben und so geht der Besitz nach seinem Hinscheiden an die Vetter Dietrich und Valten. Dietrichs Sohn Nickel läßt den im ersten Hof rechts gelegenen Teil des 1492 abgebrannten Vorschlosses wieder aufbauen. 1573 werden feierlich die Glocken des Erfurter Gießers Eckhardt Kucher in der Pfarrkirche „St.Johannis der Täufer“ eingeweiht.

Noch heute steht im Sandstein des Türbogens die 1574. Eine Tafel zeigt das Jahr 1587. Auch Name und Wappen der Familie (weißer Kammrad in rotem Feld) werden ausgemeißelt. Im Vitzenburger Erb- und Zinsregister von 1577 zeichnet Nickel akribisch den gesamten Grundbesitz, die Einkünfte aus dem Herrschaftbereich und die Lehnsverhältnisse der Bauern nieder. 1586 wird das Treppentürmchen gebaut.  

Die von Lichtenhains sind immer noch die Schloßherren, als das Ende beginnt. Der Flieder blüht bereits, als am 23.Mai 1618 zwei kaiserliche Räte aus einem Prager Schloßfenster gestoßen werden. Mit diesem Fenstersturz, bereits der zweite in Prag nach 1419, beginnt der Dreißigjährige Krieg, der sich in den nächsten Jahren vom deutschen Religionskrieg zum europäischen Machtkampf gegen das Haus Habsburg entwickeln soll. Am Ende wird die Vormachtstellung der Habsburger sich ihrem Ende neigen. Das Reich wird im Chaos versinken, die Hälfte der Bevölkerung niedergemetzelt und zahlreiche Ortschaften und Städte vom Erdboden verschwunden sein.

Die Vitzenburger Lande bleiben von den ersten Auseinandersetzungen verschont. Als 1626 die Pest erneut in den Dörfern ausbricht, läuten die Glocken wie vor 15 Jahren. Unbarmherzig wütet der Schnitter und holt sich ein viertel der Bevölkerung aus den Orten.  

Während 1630 der flämische Maler Anthonis van Dyck seine berühmte „Ikonographie“ schafft, finden mit dem Eingreifen des Schwedenkönigs Gustav Adolfs die Kämpfe neue Nahrung. Unter dem Befehl des Johann Graf von Tilly fällt im Mai 1631 die protestantische Hochburg Magdeburg. Noch stehen dichte Rauchschwaden über der Hansestadt, als Tillys Söldner bereits beutegierig durch das Unstruttal ziehen. Am 17.September 1631 schlagen Schweden und Sachsen die kaiserlichen Truppen unter Tilly bei Breitenfeld in der Nähe von Leipzig.  

Im Jahr darauf nutzen auch die Kirchenglocken wenig, als die kaiserlichen Kürassiere unter Befehl Pappenheims die Dörfer in der Vitzenburger Herrschaft verwüsten. Schweine und Hühner werden geschlachtet, Getreide konfisziert. Nichts ist mehr heilig in diesem Krieg. Selbst die Kirchenfenster werden eingeschlagen und die Klingelbeutel aufgebrochen. Die  kroatische Reitertruppe zieht zur Unterstützung Wallensteins weiter Richtung Lützen. Am 16.11.1632 treffen die schwedischen Heere unter Gustav Adolf und Albrecht Eusebius Wenzel von Wallenstein aufeinander. Die Schweden gewinnen die Schlacht und verlieren ihren König. Wallenstein wird im Februar 1634 in Eger ermordert.

Vitzenburg kommt auch in den folgenden Jahren nicht zur Ruhe. Im Frühjahr und Herbst 1636 ziehen die verwilderten Schweden unter Bauer durch den Ort. Die letzten Hühner werden geschlachtet. Schweine gibt es kaum noch. Rinder gar nicht mehr. Die letzten Gerätschaften werden mitgenommen. Nicht nur die Bauern werden verprügelt. An offenen Widerstand denkt in diesem Moment niemand. Wie in den anderen Dörfern sinkt die Einwohnerzahl rapide. Betteln ziehen Frauen und Kinder durch das Land. Die Männer, die durch die Söldner Haus und Hof verloren haben, verlieren später als Söldner ihr Leben. Einige Familien ziehen zu Verwandten. Immer wieder wird geplündert und gebrandschatzt.

Neue Besitzer, Mord, Teutsche Jagd und Umbauarbeiten

Das Schloß übersteht die Zeit der Kriege recht unbeschadet; die Zukunft allerdings sieht weniger rosig aus. Friedrich Wilhelm soll der letzte von Lichtenhains auf der Vitzenburg sein. 1649 tauscht er den stark verschuldeten Besitz für 42.000 Gulden gegen das Gut Uhlstedt. Neuer Herr auf der Vitzenburg wird der Oberstleutnant Hans Heinrich von Heßler auf Kloster-Heßler.  

Nach Ausbruch des Krieges trat von Heßler in die Dienste Wallensteins. Nach seinem Wechsel in die hessische Reitertruppe wurde er während eines Scharmützels in Kaiserslautern schwer verwundet. Trotz bester Pflege war für ihn der Krieg vorbei und er kam in die Heimat zurück.

1654 stirbt der alte Kämpfer plötzlich und hinterläßt eine große Anzahl unmündiger Kinder. Bis zur Erbteilung 1671 übernimmt daher der Bruder Hans Friedrich die Verwaltung der Güter. Georg Friedrich, der älteste Sohn, erhält die Vitzenburg. In den 1680er Jahren schlagen wieder die Totenglocken in den Dörfern. Besonders in den letzten Monaten des Jahres 1681 wütet die Pest wieder heftig. Im Jahr darauf wird nur ein Fall in Gölbitz bekannt, bevor im Januar bis März 1683 der Schwarze Tod wieder reichlich Ernte hält. Die Messen in der Dorfkirche werden ab 1688 vom Liederstädter Priester übernommen.

Reich begütert ist es Georg Friedrich möglich, ausgedehnte Studienreisen zu unternehmen. Nach dem Besuch der Universitäten Leipzig und Strasburg sammelt er „Auslandserfahrung“ in Frankreich. In Paris bleibt er längere Zeit, bevor er sich seines Sitzes an der Unstrut erinnert. Der Schloßherr ist bemüht, die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder auf Vordermann zu bringen. Unter seiner Regie wird die Kirche vor dem Schloß renoviert, die vom Krieg verwüsteten Höfe werden wieder aufgebaut und zinspflichtige Untertanen angeworben. Nach seinem plötzlichen Tod tritt der älteste Sohn Johann Moritz 1705 das Erbe an.  

1713 wird der Neubau der Pfarrkirche begonnen. Bis zum Bauende 1715 gehen jedoch einige aus­gezeichnete früh­mittel­alterliche Kunstwerke verloren. Erhalten bleiben einzig die Glocken von 1573, mit der fehlerhaften Aufschrift „Verbum Domini mannet in aethernum“ - „Gots Wort bleibet ebig“. 

Die teutsche Jagd, aufwendiges Vergnügen, findet zu Beginn des 18.Jahrhunderts in Deutschland das Wohlgefallen fürstlicher Jagdherren und immer mehr Ausbreitung. So wird auch am 08.August 1715 mitten in der Erntezeit in den nahegelegen, wildreichen Ziegel­rodaer Wäldern für den Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels eine Jagd inszeniert. Insgesamt 255 Bauern, welche teils über 50Kilometer zum herzoglichen Vergnügen - nicht dem eigenen - unterwegs sind, treiben schon seit Tagen Hirsche, Rehe und Schweine in den dichten Forsten zusammen. Am Jagdtag wird das Wild im Kessel gefangen sein und Herzog Christian mit seinen Gästen die Massen niedermachen. Das anschließende Jagdbankett fällt großartig aus.

1729, in Weimar baut man gerade am Schloß Belvedere, brechen in den Dörfern die Blattern aus. Etwas mehr als 10 Jahre später sorgt auf den Dörfern ein Kriminalfall für den Gesprächsstoff Nr.1. Im Dienste des Christian Spieler zu Kleineichstädt, wird Anna Maria Braunin nach kurzer Untersuchung des Mordes überführt. Die aus Oberschmon stammende Magd, hatte ihr uneheliches Kind kurz nach der Geburt mit Spreu erstickt und in den Dorfteich geworfen. Am 29.März 1740 wird sie in Vitzenburg enthauptet.  

Die Zeit des Barocks ist gerade vorüber, die Aufklärung steht in den Anfängen und Sophie Friederike Auguste läßt sich zur Kaiserin von Rußland ausrufen, als Friedrich Moritz von Heßler, nunmehriger Schloßherr, seinen Sitz umbauen läßt. Die ersten Wände werden 1764, ein Jahr nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, eingerissen. Innerhalb dreier Jahre wird auf den Fundamenten des alten das neue Schloß im Renaissancestil aufgebaut. Einzelne Teile des alten Baues bleiben erhalten. Während der Arbeiten werden zahllose Waffenreste und Menschenknochen gefunden. Soviel, daß 30 Arbeiter nötig sind, um die mittelalterlichen Über­reste der thüringischen Schlacht in 2 Tagen wegzuräumen.  

Ein Großteil der wissenschaftlichen Funde geht dabei verloren. Altertumsforscher werden später nur den Kopf schütteln. Türme, Wendeltreppen, Simse und Giebel entstehen. Am imposantesten hebt sich jedoch die leuchtende Fassade mit ihren Schmuckgiebeln ab. Hoch über der Unstrut, mit einem prächtigen Ausblick ins Tal und andererseits schon von weitem zu erkennen. Ein Kleinod zwischen den Weinhängen von Freyburg und der ehemaligen Kaiserpfalz Memleben. Am Fluß, der gefürchtet wird wie kein anderer und dessen Hochwasser berechtigten Grund zu dieser Furcht liefern. Nach den schweren Überflutungen in den Jahren 1746, 1752 und 1754 wird vom Militär über mehrere Jahre hinweg die Wildnis beiderseits der Unstrut beseitigt. 1778 können endlich die Arbeiten zur Schiffbarmachung der Unstrut beginnen.

Von Koalitionskriegen, von Schulenburg-Heßler, von Sachsen zu Preußen

1803: Der Sturm auf die Bastille liegt 14 Jahre zurück und Napoleon Bonaparte mit den Monarchien Europas im Krieg. Seit seinem genialen Staatsstreich 1799 ist er de facto Alleinherrscher in Frankreich und krempelt nun Europa um. Der 2.Koalitionskrieg endet zwar 1802 mit dem Frieden von Amiens, doch erneuert 1803 England seine Kämpfe und sichert mit der Schlacht bei Trafalgar am 21. 10. 1805 seine Seehegemonie. 

Der kinderlos gebliebene Landkammerherr Friedrich Moritz von Heßler bestimmt seinen Neffen Graf Heinrich Moritz als Erben. Der Sohn der Gräfin von der Schulenburg-Burgscheidungen übernimmt eben 1803 nicht nur das Schloß nebst Zubehör, sondern auch den Namen zur Erinnerung an den Erblasser. Die „von der Schulenburg, genannt Heßler“ bestimmen nun die Vitzenburger Geschicke. Aus der Ehe mit Henriette Erdmuthe Gräfin von Brünau gehen sieben Kinder hervor.

Napoleons Armeen befinden sich auf dem Weg nach Osten. Die Tage werden schon kühler, im Oktober 1806, als eine Abteilung französischer Jäger am 13. in der Nähe von Schmon ihr Lager aufschlägt. Die Gegend wird gebrandschatzt. Tags darauf wird durch den Sieg der französischen Heere in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt die militärische Schwäche des preußischen Heeres offenbart. Am 16. des gleichen Monats zieht das Corps des Marschall Bernadotte plündernd von Nebra über Vitzenburg nach Norden und verbreitet Furcht und Schrecken. Liederstädt wird gänzlich geplündert. Der Pastor Wittig flieht zu seinem Amtsbruder nach Kleineichstädt. Als die geschlagenen preußischen Truppen durch die Gegend kommen, wird des Pastor Höfers Ackerpferd ohne Nachfragen konfisziert. Graf Friedrich Heinrich Moritz, der älteste Sohn, übernimmt 1808 das Vitzenburger Erbe. Schon im Jahre darauf läßt er die Vitzenburger Großkrone, Dienst neben der gewöhnlichen Frone, ablösen.  

Des Korsen Rußlandfeldzug scheitert. Der Übergang über die Beresina vom 26.-28. 11.1812 führt zur völligen Auflösung der „Großen Armee“ Napoleons. Am 16.Oktober 1813 beginnt eine Schlacht, welche die bis dahin größte in der bekannten Geschichte ist und später als „Völkerschlacht bei Leipzig“ in den Büchern stehen wird. Die Franzosen unterliegen den verbündeten Preußen, Österreichern und Russen. Auf ihrer Flucht, hart bedrängt, kommen die Franzosen durch das Unstruttal und setzen in Freyburg über die Unstrut.

Preußen und Russen machen Station zwischen Kleineichstädt und Gölbitz. Die Einwohner in den nahegelegenen Ortschaften werden, obwohl auf deutschem Boden, feindlich behandelt. Russische Kosaken ziehen plündernd durch die Dörfer. Pferde und Vieh werden geraubt; wichtige Nahrungs­mittel wie Bier und Wein beschlag­nahmt. Mißhandlungen jeglicher Art finden statt. Laut gestikulierend greift Gerichtsschöppe Christoph Müller einem der Reiter ins Zaumzeug. Der junge Kosak verliert die Nerven und zieht blank. Schwer fällt Müller, als ihm der Säbel über die Stirn fährt, aber überlebt.

Auf dem Wiener Kongreß, der mit der Schlußakte seinen Abschluß findet, wird 1815 die Neuordnung Europas nach den Kriegen gegen Napoleon festgelegt. Sachsen wird geteilt, und die Dörfer der Vitzenburger Grundherrschaft fallen an Preußen. Am 22.Mai erläßt König Friedrich August von Sachsen eine Abschiedsproklamation an den Preußen zufallenden Teil seines Landes. Bereits am 03.August wird in sämtlichen Kirchen dem neuen König Friedrich Wilhelm III. von Preußen gehuldigt: „Thut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König.“ Trotz aller Kritik sichern die Ergebnisse des Wiener Kongresses dem Kontinent bis zum Krimkrieg 40 Jahre Frieden.

Am 01.10.1816 wird der landrätliche Kreis Querfurt aus der Taufe gehoben. 2 Jahre nach der deutschen Übersetzung von Charles Dickens’ „Oliver Twist“ übernimmt Graf Ernst 1840 die Vitzenburg. Doch stirbt der ledige Landrat des Kreises Querfurt plötzlich im Alter von 31Jahren 1843. Graf Heinrich Moritz, der jüngere Bruder, verheiratet mit Wilhelmine Henriette Elisabeth Clara von Jagow, wird nun der Schloßherr. 1851 läßt er an der Unstrut eine Zuckerfabrik erbauen. Sein Pächter, der Amtmann Hübner, wird als Kompagnon am Gewinn beteiligt. 1853 wird der Heinrich Moritz zum Königlichen Kammerherrn erhoben.

Die Märzerhebungen von 1848 greifen, wenn auch etwas später, auf die Vitzenburg über. 1856 wird über die Ablösung der Vitzenburger Reallasten verfügt.

Restauration, Kriegshelden und das Ende adligen Besitzes

Graf Heinrich Moritz ist äußerst aktiv auf dem Berg. Während im Nahen Osten der 161km Lange Suezkanal gebaut und 1869 eröffnet wird, entstehen in Vitzenburg das Arbeiterhaus neben den Schloß­gebäuden und die Inspektorenwohnung. Neue Giebel werden ans Schloß angebaut und das Dach mit Schiefer gedeckt. In den Gebäuden vor der Kirche entstehen Wohn­komplex und Schafstall.Die Terrassen an der Südseite des Schlosses werden angelegt und bieten lange Jahre einen der reizvollsten Punkte des Schlosses. Heute sind die vorstehenden Bäume hochgewachsen und verdecken einen großen Teil.  

Der ovale Pavillon am Weinberg wird im zopfigen Stil des Rokoko gebaut. Der einzige Raum ist mit einem Deckengemälde geschmückt, das die Versammlung der Götter im Olymp darstellt. Später, in der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts, wird die Kinderkrippe hier einquartiert; nach dem Einsturz eines Deckenteils aber wieder ausquartiert. Neben dem Pavillon steht die Weinkelterei bis heute.

Während die Schloßkirche bereits beim Neubau des Schlosses im letzten Jahrhundert verschwindet, werden 1868 die Fenster der Dorfkirche erneuert. Noch bis in die 60er Jahre des 20.Jahrhunderts soll die Kirche für Gottesdienste, Taufen und Konfirmationen genutzt werden. 

Der Deutsch-Französische Krieg, als der letzte der drei deutschen Einigungskriege, beginnt 1870. Aus den Ortschaften werden zahlreiche Männer zu den Fahnen gerufen. Am 28.01.1871 streckt Frankreich nach der Kapitulation von Paris die Fahnen. Den zurückkehrenden Soldaten zu Ehren finden Friedenfeiern statt. Den Gefallenen werden, wie in Kleineichstädt von den Kriegervereinen, prächtige Denkmale errichtet.  

Der Vitzenburger Graf befindet sich auf einer Kur in Palermo, als er 1874 das Zeitliche segnet. 5Jahre darauf, in Stuttgart erscheint gerade Karl Mays Roman „Im Wilden Westen“, betritt Werner Christoph Daniel, Graf von der Schulenburg-Heßler, in Ehe mit Marie Luise Auguste Therese geborene Senfft von Pilsach, als Schloßherr das Vitzenburger Anwesen.  

Durch das hohe Einfahrtstor; die Ringmauer aus rotem Sandstein läßt er erst in den Jahren 1881 bis 1884 mit vielen Türmchen errichten. Über dem Tor ist das Doppelwappen ausgemeißelt. Die drei Adlerfüße gegen den halben Löwen auf der rechten Seite mit dem Türkensäbel. Die Wappen der Familien Schulenburg, Heßler und Senfft. Darüber der mächtige Spruch: „Mit starker Hand“. Unter dem Wappen steht ein frommer Gotteswunsch. „Der Herr behüte dieses Haus. Und alle die da gehen ein und aus.“ 

Das letzte Jahrhundert beginnt wieder blutig. Nach der Ermordung des deutschen Diplomaten Klemens Freiherr von Ketteler am 16.06.1900 in Peking beginnt der Boxeraufstand, der mit der Intervention der europäischen Großmächte beantwortet wird. 

Der Graf, Abgeordneter des Kreistages, lenkt in dieser Zeit nicht nur die Vitzenburger Geschicke, sondern auch noch die im Kreis Querfurt, der noch von Freyburg und Mücheln bis Schönewerda im Thüringischen reicht. Der Graf ist Amtmann im Amtsbezirk 11, den Ortschaften der Vitzenburger Grundherrschaft. Kleinwangen, Liederstädt, Vitzenburg-Pretitz und Weißenschirmbach-Gölbitz. Als Kommentator ist der Graf aktives Mitglied im Orden der Johanniter. (Nach dem Verlust Maltas reorganisierten die Ritter in ihren schwarzen Mänteln mit dem weißen Kreuz ihren Orden zu Beginn des 19.Jahrhunderts und verlegten ihren Hauptsitz nach Rom.) 

Die älteste Tochter des Grafen Werner, Auguste Marie Anna, heiratet am 10.Juni 1913 Rambert Freiherr von Münchhausen aus Herrengosserstedt. Nach dem Ausbruch des 1.Weltkrieges steht des Grafen einziger Sohn Moritz als Rittmeister im deutschen Heer. Während der schweren Kämpfe an der Somme fällt er am 3.September 1916 und wird neben der Dorfkirche „Johannes der Täufer“ feierlich bestattet.

Die junge Familie der von Münchhausen erhält das Rittergut Kleineichstädt vom Grafen als Wohnstatt. Noch Jahrzehnte später wird die Episode von des Barons Abfuhr erzählt, als er sich, um Geld für die notwendige Dachreparatur, an seinen Schwiegervater wendet. Doch dieser beschenkt ihn mit den Worten: „... er (der Baron) soll sich sein Geld selbst verdienen, so kann er auch trocken wohnen.“

Werner Graf v.d. Schulenburg Heßler stirbt am 17.Juni 1930 kurz vor seinem 78.Geburtstag in Vitzenburg. Von nun an nimmt der Baron von Münchhausen das Ruder in die Hand. Bis zum Ende des 2.Weltkrieges. Viele Besitzer sind schon weiter Richtung Westen geflohen, als die Amerikaner  plötzlich an der Unstrut stehen. Ihnen gefällt das Schloß mit seinem verträumten Blick ins Tal. Nach dem Abkommen von Jalta ziehen die Amerikaner wieder ab. Der Freiherr von Münchhausen jedoch bleibt - wird inhaftiert und stirbt in der Haft. Seine Familie zieht auch in den amerikanischen Sektor.

Enteignung, Verkauf und schnelles Internet

Der 2.Weltkrieg ist zu Ende, Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt. Mit der Bodenreform im September 1945 werden die von Münchhausen enteignet. Das Schloß mit dem Wirtschaftshof, die Wälder, Wiesen und Äcker - insgesamt 2.190,07ha - werden aufgeteilt. Das Schloß wird zum Schulgut umfunktioniert. Einige Zeit dient das Schloß als Ausbildungsstätte für Lehrer, die später Lehrlinge in der Landwirtschaft unterrichten sollen. Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft wird 1960 abgeschlossen sein. 

Im Januar 1950 beginnt im fernen Asien der Koreakrieg, Elvis Presley nimmt im Spätsommer 1953 seine erste Platte auf und auf der Glienicker Brücke werden die ersten Agenten über der Havel ausgetauscht. In Vitzenburg hingegen wird das Schloß zum Provinzialschulgut erklärt, später zur Fachschule für Landwirtschaft - und bleibt diese bis Mitte der 60er Jahre. Nach einigen inneren Umbauarbeiten wird das Anwesen 1969 Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychatrie. Im Zingster Schloß am Fuße des Berges wird ebenfalls eine Abteilung eingerichtet.

Das Dorf verändert sich in den Jahren um einiges. Im alten Gärtnereigelände unterhalb der Schmiede wechseln die Besitzer. Ebenso im Forsthaus und der Winzerwohnung. Zwei Wohnblocks werden gebaut. Etliche Einfamilienhäuser entstehen im Ort. In einem Teil des Rittergutes wird der Kindergarten eingerichtet. Im Inspektorenhaus die Schule. Ein Neubau wird errichtet. Die Allgemein­bildende ohne Namen wird noch kurz vor der Wende zur „Willi-John-Oberschule“. Aus Kleineichstädt, Liederstädt, Pretitz und Weißenschirmbach werden Kinder und Lehrer per Bus zum Unterricht gebracht. Den Zingster Schülern bleibt der Weg zu Fuß nicht erspart. Besser hat es, wer im Dorf wohnt. Zu Beginn der 80er Jahre wird die Turnhalle im üblichen Stil gebaut. Der Dorfteich muß weichen. Heute existiert immer noch der Feuerlöschteich, von mächtigen Kastanien umgeben, vor der Schloßmauer. Ende der 80er Jahre wird eine neue Kinderkrippe gebaut. 

Mit dem Ende des kalten Krieges und dem Fall der Mauer kommt wieder Bewegung in die Vitzenburger Geschichte. Die Psychiatrie wird aufgelöst, die Patienten werden verlegt. Zahlreich sind die Anträge zum Erwerb der Anlage. Anfang der 1990er Jahre hat der Immobilien-Kaufmann Herbert Hillebrand aus Bad Breisig große Pläne mit dem Objekt. Luxus-Hotel, Tennisplätze und (mit dem nahegelegenen Rodeland) eine Golfanlage mit Blick nach Thüringen. Die Pläne kommen nicht zur Verwirklichung.

Einige Jahre später erhält der Weimarer Architekt Mike Schulze den Zuschlag. Der junge Schlossherr versucht geraume Zeit, mit flexiblen und ausgefeilten Ideen, der alten Schönheit zu neuem Glanz zu verhelfen. Er stapelt nicht ganz so hoch. Doch mit Enthusiasmus allein, sind die enormen Restaurierungarbeiten allein nicht zu bewältigen. Schulze stapelt nicht ganz so hoch wie Hillebrand. Schloßrestaurant und Wohnungen im Eingangsbereich sind solide Ideen. Im hinteren Hof - von hier liegen Vogelherd, Rodeland und Ronneberg zum Greifen nah - befinden sich die Gebäude für die herrschaftlichen Pferde und Kutschen. Auch diese, inklusive Reitstall, sollen wieder in alter Pracht entstehen. Der Pavillon soll nach der Wiedereröffnung zu „multikulturellen Veranstaltungen“ geöffnet werden. Doch nur langsam gehen die Arbeiten voran. Inzwischen verkauft der Architekt Wein aus eigenem Anbau.

Doch der engagierte Schulze scheitert an der Größe. Nicht allein die Anlage fordert ihm einiges ab. Er steht (fast) allein vor der Umsetzung seinen Pläne. Nur wenig Unterstützung erfährt er aus dem Dorf, vom Landkreis. Das Fest zur Eintausendjahrfeier des Ortes findet abseits auf dem Sportplatz statt. Die Tore des Schlosses müssen geschlossen bleiben. Der Architekt sieht sich gezwungen, die Anlage zu verkaufen. Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, erwirbt der Berliner Immobilienmakler Heinz Müller das Objekt. Den Kaufpreis von knapp 400.00 Euro wird erst viel später bekannt. Das Schlosstor bleibt nun ständig geschlossen; ein gelber Postkasten verschwindet ebenso wie die einquartierten Polen bald wieder vom hundertjährigen Mauerwerk. Nur ein abgeschriebener Baukran, der seit Jahren genauso Reparaturarbeiten suggeriert wie das Panorama verschandelt, zeugt vom neuen Besitzer. 2013, als auf der Vitzenburg der Schauspieler und Regisseur Detlev Buck seinen Film Bibi Blocksberg dreht, stellt der Berliner Müller die inzwischen heruntergewirtschafteten historischen Gemäuer in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung für 10 Millionen Euro zum Verkauf. „Ich habe zwar die Ideen und das Geld, um das Schloss auf Vordermann zu bringen. Allerdings fehlt mir die Zeit, um mich ordentlich darum zu kümmern“, sagt Heinz Müller der MZ. „Wenn also jemand mit einem ordentlichen Konzept käme, wurde ich das Schloss auch für weniger als zehn Millionen hergeben.“ (MZ, 18.08.2013)

Die Kirche „Johannes der Täufer“, die seit 1979 wieder zum Pfarramt Reinsdorf gehört, befindet sich in einem solch trostlosen Zustand, daß von Dörflern am 19.10.1995 der „Förderverein Freunde der Dorfkirche ´Johannes der Täufer` zu Vitzenburg e.V.“ gegründet wird. Ziel der Organisation ist die Instandhaltung und Pflege der Dorfkirche. Dem anfänglichen Enthusiasmus fehlt jedoch bald der Schwung. Nach den ersten Reparaturen stagnieren weitere Arbeiten. Damit die Kirche im Dorf bleibt, werden hin und wieder kleinere Konzerte und Veranstaltungen organisiert.

Die alte Schmiede dient nun als Getränkestützpunkt. Der Schafstall bricht zusammen, wird teils aufgelöst und teils verlegt. Der Kuhstall im Rittergut wird ebenfalls abgeschafft. Die Zuckerfabrik weicht dem Druck der Abrißkugeln und verschwindet. Heute existieren von der Fabrik nur noch vergilbte Fotos, und Erinnerungen. Allein die alte Villa zeugt noch mit zerschossenen Fenstern von der Industrie. Das Gewerbegebiet „Zuckerfabrik“ bleibt unbebaut.

Die Gemeinde Vitzenburg kommt mit ihren Dörfern zur Verwaltungsgemeinschaft Hermannseck, später wird sie Ortsteil der Stadt Querfurt. Von der schwindenden Landbevölkerung ist auch die Schule betroffen, die trotz ständiger Dementi geschlossen wird. Die Gaststätte „Schweizerhaus“ in der Dorfmitte bietet Übernachtungsmöglichkeiten; „Zum Unstrutblick“ liegt direkt über den Weinhängen und erlebt nach ihere Öffnung in den späten 1990er Jahren eine kurze Blüte bevor sie wieder geschlossen wird. Zumindest erhalten die Ortschaften bereits in den Jahren ab 2010 Anschluss an das weltweite Internet. Linkerhand erhebt sich die Querfurter Platte. Unten im Tal beschreibt der gezähmte Fluß, der sich gurgelnd zwischen den Felsen hindurchgezwängt hat, einen weiten Bogen und verschwindet zwischen Weinbergen im Südosten.

SCHLUSS