WIEHE

Die kleine Stadt am Fuß der Finne gehört zu den ältesten Siedlungen im unteren Unstrutgebiet. Im 1988 erschienenen Band 46 der Reihe „Werte unserer Heimat“ notiert das Autorenkollektiv unter der Leitung von Hans Kugler und Werner Schmidt:  „In der Wieheschen Flur ist die Besiedelung seit der Jungsteinzeit archäologisch bezeugt. So wurden in der Burkhardstraße 205 eine am Nordostrand der heutigen Stadt gelegene neolithische Siedlung angeschnitten und 6 Steinkeulen geborgen. Weitere zahlreiche Funde aus dem gleichen Zeitabschnitt, so Steinhacken und –beile, Feuersteinkerne und-abschläge, eine schnurkeramische Facettenaxt und Flachhacken, kamen in der Aue und von hier bis auf die Ränder der Finne zum Vorschein. Auf einer der Auenterassen mit dem FlurnamenStelzenburg lag im Rieth, 1,3km nördlich von Wiehe, eine Siedlung der Aunjetitzer Kultur.“

von Rabenswalde, von Werthern und günstige Lage

Vermutlich stand bereits in fränkischer Zeit eine befestigte Anlage an der Stelle des heutigen Schlosses. Erstmals wird der Ort Wihe 786 im Hersfelder Güterverzeichnis des Mainzer Erzbischofs Lullus urkundlich erwähnt. Um Burg und Siedlung in der Hand des Reiches zu vereinen, erwirbt König Heinrich I., der 936 in Memleben stirbt, die Hersfelder Güter. In den ersten zwei Jahrhunderten des ersten Jahrtausends ist Wiehe vermutlich das Zentrum der in der Chronik von Thietmar von Merseburg 1015 genannten Provinz Uuigsezi. Kaiser Otto III. schenkte 998 die civitas, also den Ort Wiehe mit Ausnahme des kaiserlichen Meierhofes dem Benediktinerkloster Memleben.

Um 1045 gingen Wiehe und die benachbarten Dörfer als Lehen Heinrichs III. an  die Grafen von Käfernburg. Nach deren Erbteilung 1206 in die Schwarzburgische und Wiehesche Linie kam der Besitz an die Grafen von Wiehe, die sich später Grafen von Rabenswalde nannten.

„Mit dem Sühnevertrag zu Weißenfels am Ende des sogenannten Grafenkrieges ging Wiehe 1346 an den Landgrafen von Thüringen als den Sieger dieses Streites über. In diesem Krieg wurden Burg und Stadt erobert und teilweise zerstört, im späteren thüringischen Bruderkrieg 1445/51 sogar zweimal. Nach wiederholtem Besitzerwechsel kaufte Dietrich von Werthern 1461 die Herrschaft Wiehe, dessen Nachkommen das Schloß und das dazugehörige Land bis 1945 besaßen. Bereits 1298 werden „burger czu wye“ genannt. Brakteatenfunde belegen Münzprägung der Grafen von Wiehe-Rabenswalde schon für den Ausgang des 13.Jahrhunderts; 1315 ist das herrschaftliche Münzrecht  für Wiehe belegt. Nach Verleihung erster Markt- und Stadtrechtselemente 1320 und der 1376 durch den Heldrunger Grafen erteilten Erlaubnis zum Bau eines Kaufhauses erhielt Wiehe 1394 sein Stadtrecht durch den Landgrafen bestätigt. Eine städtische Verfassung hatte sich ebenfalls Anfang des 14.Jahrhunderts  nach dem Muster des damals vorbildlichen Weißenseer Stadtrechts herausgebildet. Die Verfassungsentwicklung  ähnelte der vieler mitteldeutscher Städte: Anfangs gab es einen dem Rat vorsitzenden stadtherrlichen Schultheiß, später die Einsetzung gewählter Ratsmeister aus den Geschlechtern. Es sind die seit 1394 erscheinenden Vormunde des Wieheschen Stadtrechts. Erst 1569 gelang es dem Rat, die Mitregierung der Schultheißen auszuschalten.

Die günstige Lage im Verkehrsnetz und inmitten fruchtbarer Ackerfluren, die von den Höhen im Süden der Stadt über den überflutungsfreien Lößsaum bis in die hier breite Auenlehmzone der Niederung reichen, war die Lebensgrundlage der kleinen Ackerbürgerstadt. Sie hatte mehrere Märkte, um 1750 waren es 4 Kram- und 3 Viehmärkte. Bemerkenswert ist, daß nach der Schenkungsurkunde von 998 hier auch Wein angebaut wurde. 1572 erließ der Rat die erste Brauordnung; das damalige Brauhaus befand sich am Markt. Die beiden Gasthöfe Zur Grünen Tanne und Zum Roten Löwen erhielte 1678 ihr Privileg. … Die Gitterstruktur des Kerns von Wiehe geht in der heutigen Form wohl auf den Neubau der Stadt nach dem großen Brand von 1659 zurück. Diesem fiel auch das 1540 erwähnte Rathaus zum Opfer, an dessen Stelle der heutige schlichte Bau von 1715 steht.

Von der 1835/53 abgebrochenen Stadtmauer mit ihren Schalentürmen und Toren blieben nur die Reste am Südrand des Ortes erhalten, so der runde Steinbau mit Fachwerkobergeschoß eines Wehrturmes. Die Befestigung umschloß weder die 18 Höfe vor dem Obertor noch das Dorf – 1525 mit 25 Feuerstellen – vor dem Mühlentor. Dieses 1378 erstmals genannte Dorf „hart an der stat“ lag unterhalb der Burg. Seine ehemalige Pfarrkirche St. Ursula besitzt eine stark verwitterte Grabplatte der Anna Adam, einer Nichte Martin Luthers. Das Gebäude wurde 1742 als Friedhofskirche in Verbindung mit dem nach hier verlegten Stadtfriedhof umgebaut. Auf diesem ruhen die Arbeitersportler Franz Jordan und Otto Werner, die in den Märzkämpfen 1921 gefallen sind. Vor der Bartholomäuskirche breitete sich der mittelalterliche Friedhof aus, der dem nach 1659 angelegten heutigen Marktplatz weichen musste. … Wie aus dem Kirchenbuch von 1882 ersichtlich, ist der in voller Rüstung im Hochrelief über einen prachtvollen Zierhelm Schreitende der schwedische Obrist Wiegelstern, der im Dreißigjährigen Krieg nach 1641 hier verstorben sein muss.

An der Südostecke des mittelalterlichen Stadtkerns befindet sich das ehemalige Schloß, das 1664-66 als stattlicher Vierflügelbau um einen sehr kleinen Innenhof entstand. … Von der an gleicher Stelle befindlichen vormaligen Burganlage aus Ober- und Unterburg blieben nur Reste eines Tores und der Wallgraben am Südrand des Schloßparks erhalten. Im Schloß ist heute die Ausbildungsstätte des VEG (P) Memleben untergebracht. Am Fuß des sornartig aus dem Abhang der Finne herausragenden Buntsandsteinvorsprungs, auf dem sich das Schloß erhebt, entspringt der Stubenborn, dessen Wasser sich vor dem einstigen Mühlentor mit dem des westlich Wiehes vom Röhrentalbach abgezweigten Mühlgrabens vereinigte. Seit 1783 entwickelte sich in Wiehe ein bescheidener Heilkurbetrieb, der etwa 1890 zugunsten der Kurorte Bibra und Rastenberg mit den Quellen zum Erliegen kam.

Das Denkmal des am 21.Dezember 1795 in Wiehe geborenen Bürgerlichen Historikers Leopold von Ranke aus dem Jahre 1896 steht auf dem Rankeplatz neben dem Rathaus und wurde nach einer Büste des spätklassizistischem Bildhauers Friedrich Drake, eines Schülers von Christian Daniel Rauch, geschaffen. Ein schlichtes weiteres Rankedenkmal steht in der Feldflur südöstlich Hechendorfs.

Wiehe repräsentiert den Typ der kleinen Landstadt, die erst nach 1945 eine starke industrielle Entwicklung erfuhr. Die Kreuzung der beiden heutigen Landstraßen 1. Ordnung Reinsdorf (Kreis Artern) – Wiehe – Memleben und Rastenberg – Lossa – Wiehe – Roßleben hat dem Ort eine Lagegunst verliehen, auf deren Grundlage sich die zentralen Funktionen, vor allem im Bereich des Einzelhandels und des auf den Bedarf der ortsansässigen und in den Dörfern der Umgebung befindlichen Landwirtschaft ausgerichteten Handwerks, herausbildeten. Diese Funktion ist im Stadtbild in Form einer Einkaufsstraße zwischen Markt und Kirche gut sichtbar.

Der von jeher stark vertretene handwerkliche Sektor, der sich noch heute im Vorhandensein von Böttchereibetrieben mit erheblicher Exportproduktion an Wein- und Kognakfässern ausdrückt, war zusammen mit dem verhältnismäßig günstigen Angebot an Arbeitskräften die Basis, auf der die industrielle Entwicklung in Wiehe einsetzte. Das industrielle Profil ist mit Schuhfabriken, Möbelherstellung, landtechnische Anlagenbau; musikinstrumentenbau und Herstellung von Kohlepapier und Kartonagen inzwischen breit ausgebildet. Schwerpunkt ist jedoch die Plastverarbeitung im VEB Ammendorfer Plastwerke, einem Betrieb des Kombinates Chemische Werke Buna. Das Plastmaschinenwerk, das heute dem Kombinat Umformtechnik Erfurt angehört, begann 1949 mit der Produktion und hat sich durch einen Neubau seit 1970 zum modernsten und bedeutendsten Betrieb der Stadt entwickelt. Er beschäftigte 1981 rund 450 Arbeiter und Angestellte und produziert vollautomatische Spritzgießmaschinen für Plaste, deren elektronische Steuerung auf der Basis von Mikroprozessoren verläuft. Dieses international konkurrenzfähige Spitzenerzeugnis stellt zugleich einen wichtigen Exportartikel dar. Nach 1945 entstanden am südöstlichen Stadtrand von Wiehe ein neues Wohnviertel und an der Straße nach Garnbach eine Oberschule.“

Die Geschichte sollte wie überall im Osten Deutschlands nach der Wende 1989 die kleine Stadt überrollen. Die Wende geriet zum politischen und wirtschaftlichen Desaster. Doch neben der Schließung verschiedener  Betriebe überlebten andere im frostigen neokapitalistischen Ostwind. Die Modellbahn Wiehe, mit etwa 12.000 Quadratmetern die nach eigener Aussage „Weltgrößte Modellbahn-Ganzjahresschau im Herzen Europas“ wurde seit ihrer Eröffnung im November 1997 durch den im nordhessischen Hofgeismar geboren Hans-Jörg Stiegler zum Besuchermagneten im vergessenen "Tal der Kaiser und Könige".