WEISSENSCHIRMBACH

Ein kalter Nordostwind streicht seit einigen Tagen über den Eichstädter Höhenzug und schüttelt das Laub von den Bäumen. Langsam kriechen die ersten Nebelschwaden den Kamm hinauf, umspielen die Hagebuttenbüsche und lassen die Beine der Einwohner im Nichts verschwinden.

In diesen ersten Herbsttagen sind die Bauern selten zur Ruhe gekommen. Die Nachrichten, so spärlich und spät sie auch sonst in die abgelegenen Dörfer gelangen, haben sich diesmal immer wieder gegenseitig überstürzt, eingeholt und widersprochen.

Man schreibt das Jahr 1813. Es ist der 21.Oktober und die deutschen Landen befinden sich im Krieg. Zwei Tage ist es her, daß bei Leipzig die Großarmee Napoleons vernichtend geschlagen wurde und sich seitdem auf der Flucht befindet. Bei Freyburg gelingt den Franzosen der Übergang über die Unstrut. Das dumpfe Grollen der Kanonen, welche das nachrückende Korps des General Yorck auf Distanz hält, ist Meilenweit zu hören.

Die Unruhe ist den Leuten auf den Eichstädter Höhen anzusehen. Eichstädter und Gölbitzer, selbst einige Weißenschirmbacher haben sich hier versammelt. Genau sieben Jahre ist es her, daß französische Jäger die Umgebung gnadenlos brandschatzten. Am 22.Oktober tauchen die ersten Reiter auf.

Jungsteinzeit, Gründung von Scrinbechin und Eingliederung in das Hosgau

Rückblick. Mit dem Einfall der Schwarzen Hunnen 370 in Europa beginnt der Zerfall des Römischen Imperiums. Zahllose Völkerstämme, auf der Flucht vor den asiatischen Kriegern, lassen sich im Weströmischen Reich nieder. Die bekannte Welt mit dem römischen Mittelpunkt und der Han-Dynastie in China, befindet sich an der Schwelle zum Frühmittelalter. Attila, der Hunnenkönig, dringt zu Beginn des 5.Jahrhunderts bis in das heutige Frankreich vor und löst mit seinem Erscheinen Angst und Schrecken unter den europäischen Völkern aus.

In dieser Zeit ist die Gegend um den Eichstädter Höhenzug längst besiedelt. Mitte des 20.Jahrhunderts werden nördlich von Weißenschirmbach Höckergräber gefunden, welche die Besiedlung der Gegend bereits in der Jungsteinzeit beweisen.

Im Schutze thüringischer Wachtürme liegen zu Beginn des 6.Jahrhunderts einzelne Gehöfte und Siedlungen. Die „Ficenburc“ oberhalb des Unstrutbogens bietet den germanischen Dörfern in unmittelbarer Nähe genügend Sicherheit.

Einige Familien siedeln, entfernt vom Überschwemmungsgebiet des thüringischen Flusses, in den Senken der Querfurter Mulde. „Scrinbechin“ nennt man eine der Ansiedlungen - Weißenschirmbach. Der kleine Bach sorgt für ausreichend klares Wasser,  die dunklen, wildreichen Wälder für ausreichende Nahrung. Ideale Lebensbedingungen. Auf der gegenüberliegenden Bachseite liegen einige Höfe, die zusammen später Gölbitz genannt werden.

In der Schlacht von 531 unterliegt das mächtige thüringische Reich den Franken und deren sächsischen Waffenbrüdern. Die Gegend nördlich der Unstrut fällt den Sachsen zu. Doch diese ziehen mit den Langobarden 568 auf Eroberungszüge nach Norditalien weiter. Friedlich erobern nun Schwaben, Friesen und Hosiger die Gegend. Friesenfeld und Hosgau werden die dicht nebeneinander liegenden Gebiete genannt. In den 70’er Jahren des 6.Jahrhunderts bereist der Geschichtsschreiber und Bischof Gregor von Tours die Gegend, um 44 Jahre nach dem Ende des Thüringischen Imperiums die fränkische Geschichte niederzuschreiben. Jahrhunderte später dienen seine Bücher den Historikern als wichtige Quelle.

Scrinbechin liegt nun wie Gölbitz im Hosigau, thüringische Provinz Frankens. Immer wieder fallen in den folgenden Jahren die slawischen Wenden in die Gegend ein, bis es dem thüringischen Herzog Radulf gelingt, diese im Jahr 633 zu schlagen. 641 erhebt sich derselbe Radulf auf dem nahen Ronneberg zwischen Vitzenburg und Memleben gegen die fränkische Besatzung und erreicht politische Autonomie.

Unter den argwöhnischen Augen der thüringischen Germanen ziehen immer mehr slawische Familien in die Gegend. In den Jahren 724 bis 732 reist der Benediktinermönch Wigbert von Corvey in die thüringischen Gebiete, um mit flammenden Worten die heidnischen Germanen zu bekehren. Mit Feuer und Schwert bekehrt König Karl aus dem Haus der Karolinger die Sachsen in zahlreichen blutigen Schlachten. 785 bezwingt Karl, der im Jahr 800 zum Kaiser gekrönt wird und als „der Große“ in die Geschichte eingehen wird, den Sachsenführer Widukind, der in Attigny zum Christentum übertritt.

Als 814 das Erzbistum Halberstadt gegründet wird, werden die Siedlungen dem Bistum angegliedert.

Unter Halberstädter Diözese, erste urkundliche Erwähnung und Gilbitz

In den Jahren 724 bis 732 reist der Benediktinermönch Wigbert von Corvey in die thüringischen Gebiete, um mit flammenden Worten die heidnischen Germanen zu bekehren. Der fränkische König Pippin aus dem Hause der Karolinger fördert die Kirchenreform des Bonifatius erheblich. Ebenso König Karl, der in den nachfolgenden Jahren seiner Herrschaft die Bekehrungsversuche in zahlreichen Schlachten, besondere gegen die heidnischen Sachsen, unterstützt.

777 schenkt der Nachfahre Pippins dem Kloster Hersfeld den Zehnt im Friesenfeld und Hosgau. 785 bezwingt Karl, der im Jahr 800 zum Kaiser gekrönt wird und als „der Große“ in die Geschichte eingehen wird, den Sachsenführer Widukind, der in Attigny zum Christentum übertritt. Bis zur Gründung des Erzbistum Halberstadt 804 obliegt die kirchliche Betreuung der thüringischen Gaue der Mainzer Diözese. Obwohl die Gebiete nördlich der Unstrut dem Halberstädter Stift bestätigt werden, behaupten die Mainzer noch lange ihre Metropolitengewalt.

Als 814 Karl der Große stirbt, werden die Siedlungen nördlich der Unstrut endgültig dem Bistum Halberstadt angegliedert. In den Jahren zwischen 968 und 1004 wird die Gegend des westlichen Hosgau, der ehemalige Querfurter Kreis, übergangsweise dem Bistum Merseburg zugeschrieben.

919 erreichen die Herolde Heinrich von Sachsen auf der Vogeljagd, um ihm die Nachricht von seiner Wahl zum deutschen König zu übermitteln. Die Stelle gegenüber Nebra, auf der anderen Seite der Unstrut erhält den Namen Vogelherd. Doch vermuten Historiker den geschichtsträchtigen Ort u.a. auch im Quedlinburger Finkenherd. Der König aus dem Haus der Liudolfinger lässt in dieser Zeit zum Schutz und zur Abwehr der zahlreichen Ungarneinfälle weitere Burgen errichten. Die Halberstädter, immer wieder um ihre Besitzungen und deren Ausdehnung bemüht, sind in der Unstrutgegend reich begütert, insbesondere in der Mark Schmon.

Heinrich stirbt 3 Jahre nach seiner siegreichen Schlacht gegen die Ungarn im Hochsommer 936 in der Pfalz Memleben. Daraufhin tritt sein Sohn Otto im Alter von 23Jahren das väterliche Erbe an und schenkt im nachfolgenden Jahr dem freiweltlichen Stift zu Quedlinburg zwölf slawische Familien samt ihren Grundstücken in der Mark Schmon.

Die kleine Siedlung Scrinbechin soll ihre erste urkundliche Erwähnung um 950 erfahren. Nachvollziehen lässt sich dies aufgrund fehlender Unterlagen schwer. Doch können die Ortschaften in der Umgebung auch auf über eintausend Jahre Geschichte zurückblicken und so feiert man 1998 1100 Jahre Dorfleben.

Indessen geht das Leben in den Siedlungen des kleinen Seitentals der Querfurter Mulde weiter. Der schmale Siedebach dient als Abwasserkanal ebenso wie als Grenzbach bis 1935. Der Name der Orte ändert sich im Laufe ihrer Erwähnung mehrmals. Der Besitz an (Weißen-) Schirmbach, 8 km südsüdwestlich von Querfurt, wird als Scerenbike oder Scrinbach gewechselt, beansprucht oder bestätigt. Auch Scrinbechin erscheint immer wieder in alten Urkunden. Das ehemals slawische Gölbitz wartet mit Cunbici, Gelwitz oder Gilbitz auf.

Schmale Pfade, die später durch tiefe Spurrinnen abgelöst werden, durchziehen die dunklen Forsten des deutschen Urwaldes und verbinden die zahlreichen kleinen Ansiedlungen des Hochmittelalters.

Hohe Siedlungsdichte und Wüstungen, Machtspiele und Besitzungen

Auch in der Querfurter Gegend lässt die enorme Siedlungstätigkeit der frühen Jahre nichts zu wünschen übrig und im Laufe der Jahrhunderte beenden zahlreiche Ortschaften durch die verschiedensten Gründe ihr kurzes, geographisches Dasein.

Eine halbe Wegstunde westwärts von Gölbitz liegt im Stachelroder Born die Quelle des Siedebachs. Die Wagenspuren, die seitwärts des Bachlaufs zum Pfarrort Stachelrode führen, sind tief und stehen im feuchten Tal wochenlang voll Wasser. Die Ansiedlung, in Ober-, Mittel- und Unterstachelrode gegliedert, wird erstmals 1120 erwähnt. Am Ende des Tales laufen die Wagenspuren weiter zur nahen Birkenschäferei. Noch zu Beginn des 20.Jahrhunderts vermuten Historiker hier die Wüstung Barka. Rechterhand geht es durch das Lohtal zum Eichstädter Höhenzug hinauf. Die Ansiedlung Hohndorf, die wenige Schritte entfernt liegt und bereits 1240 als Hondorp in den Urkunden auftaucht, kann im Gegensatz zu Weißenschirmbach 1268 eine eigene Kirche vorweisen. Jedenfalls war sie Filial des benachbarten „Sthachalrode“. In einer Urkunde überlässt der Erzbischof Konrad von Magdeburg dem Kloster Gottesgnade bei Calbe a.S. das Patronatsrecht über die Hohndorfer Kirche gegen andere Güter.

Doch schon 1346, in Südspanien sind die Mauren gerade mit dem Ausbau der Alhambra oberhalb von Granada beschäftigt, sind die letzten Gebäude verlassen und der Ort „wüst“.

Die Existenz einer eigenen Stachelroder Kapelle wird im Frühjahr 1988 auf dem Gebiet des Unterdorfes durch Fundstücke und zahlreiche Skelettreste, welche auf einen Friedhof deuten, nachgewiesen. 1400 wird der Ort in den Besitztümern des Klosters Reinsdorf erwähnt.

Nordwestlich von Gölbitz rumpeln die Fuhrwerke auf schlechten Wegen den Gehöften von Kymen entgegen. Noch 1327, zehn Jahre nach dem Ende der Getreidekrise, ist der Ort im Besitz des freiweltlichen Stifts Quedlinburg: „„Schyme: 2 Hufen und Höfe, jede Hufe zinst eine Mark und 20 Hühner ...“. Urkundlich wird am 10.März 1454 festgehalten: „Zu Kymen, wer da ein Burmester (Bauernmeister, Ortsrichter) ist, der muß alle Jahre 12 neue Groschen einnehmen und geben.“ Doch ist der Mark Kymen nur ein schmales Dasein beschieden. Im Westen von Schirmbach und Gölbitz, östlich von der Liederstädter und Spielberger Flur eingegrenzt, stößt sie nördlich an die Eichstädter und südlicher an die Pretitzer Besitzungen. Die Ortschaft wird aufgegeben und 1506, keine 50 Jahre nach dem sächsischen Bruderkrieg, in der Eichstädter Stiftungsurkunde zusammen mit Hondorff als „wüst“ bezeichnet. Nicht anders ergeht es Stachelrode.

Was die Einwohner wirklich veranlasste ihre Heimstätten aufzugeben; darüber schweigt sich die Geschichte aus. Die Orte bleiben allein in alten Forst- und Flurkarten erhalten. Der Rest wird abgerissen und im Laufe der Jahre überackert. Die Gehöfte von Scrinbechin bleiben bestehen, doch endet die Straße nun hier.

Rückblick. Im August 955 gelingt es Otto I., den Einfall der Ungarn auf dem Lechfeld abzuwehren. 968, Otto ist seit 6 Jahren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, gründet er das Erzbistum Magdeburg, um die Christianisierung an der Ostgrenze seines Reiches voranzutreiben. Harte und kalte Winter wechseln 992 bis 994 mit Sommern, die von anhaltender Dürre geprägt sind und bestimmen das Leben der Bauern. Menschen und Tiere erfrieren oder verhungern zu Dutzenden.

In dieser Zeit steht das Kloster Memleben auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung. Der Sterbeort der beiden großen Ottonen Heinrich und Otto untersteht allein Kaiser und Papst und ist mit unvergleichlich großen Besitztümern ausgestattet. Auch der Zehnt des Friesenfeld und Hosgau gehört dazu.

Heinrich II., letzter Kaiser aus dem Hause der Sachsen, unterstellt jedoch für seine Machtpläne 1015 die ehemalige Lieblingspfalz der Hersfelder Kirche und versetzt der mächtigen Abtei somit den Todesstoß. In der Folge entbrennt der Streit über den Zehnten. Der Bischof von Halberstadt ist an den ertragreichen Besitzungen seines Bistums noch genauso interessiert wie der Abt von Hersfeld, dem diese nun zugesprochen werden sollen.

1077 tritt Heinrich IV. seinen Büßergang nach Canossa an. Etwa 10 Jahre darauf läßt der thüringische Landgraf Ludwig, der den Beinamen „der Springer“ trägt, oberhalb Freyburg auf pfalzgräflichem Gebiet unverfroren seine Neuenburg errichten.

Im Jahr 1123 wird das Kloster Vitzenburg wegen Wassermangels und verschiedener anderer Gründe vom Berg hinunter an die Unstrut verlegt. Von nun an bestimmen die Reinsdorfer Benediktiner das unmittelbare Geschehen in der Gegend. Weißenschirmbach und Gölbitz werden dem erzpriesterlichen Sitz Reinsdorf zugeordnet. Zu dieser Zeit breitet der dichte Urwald seinen wildreichen Mantel über die sanften Höhen und zahlreichen Täler. Doch die frommen Brüder des 529 gegründeten Orden leisten ganze Pionierarbeit. In den Jahren des 12. und 13.Jahrhunderts kultivierten und verändern die Mönche die umliegende Landschaft erheblich.

Kriege, Not und Tod am Siedebach

Während die Reinsdorfer Glaubensbrüder noch am Kirchgebäude arbeiten, verweigert der Welfenherzog Heinrich seinem Kaiser Barbarossa die Lehnstreue. Doch bekommt dem Braunschweiger Löwen seine Untreue schlecht und er wird am Ende seiner politischen Ränkespiele im Juni 1182 in die Normandie verbannt.

24 Jahre später, am 09.September weilt Bischof Konrad von Halberstadt im Reinsdorfer Kloster und weiht die fertiggestellte Kirche erneut ein. Kraft seines Amtes und seiner Machtgewalt schenkt der Geistliche dem Kloster verschiedene Neubruchzehnten und gibt u.a. die Waldrodungen bei Gleina, Vitzenburg, Schirmbach frei, bestätigt bei diesem 2 Hufe Ackerland und stellt die Besitzungen unter seinen persönlichen Schutz.

Nach dem Tode Heinrich Raspes stirbt 1247 der letzte Landgraf aus dem Geschlecht der Ludowinger. Thüringen steht am Scheideweg und im nachfolgenden Erbfolgekrieg werden die weiteren Geschicke Mitteldeutschlands entschieden. Am Ende der 7jährigen Auseinandersetzungen fällt die Landgrafschaft an das Haus Wettin unter Heinrich dem Erlauchten.

Ein buntes und bizarres Wechselspiel an den rechtlichen Verhältnissen und Besitzhoheiten, politischen wie kirchlichen Zuständigkeiten bestimmt das Leben der Menschen in diesen Jahren.

Die urkundlichen Erwähnungen der kleinen Ortschaften am Siedebach fallen in den Folgejahren spärlich aus. Allein beim Kauf des Lehnhofes durch den Reinsdorfer Abt vom Kastellan Heinrich von Litenstede findet Schirmbach 1334 durch die zusätzliche Schenkung eines Hufen Landes Erwähnung. Mitte des 14.Jahrhunderts zieht der schwarze Tod durch Europa und fordert annähernd 20 Millionen Opfer.

1404 vermerkt der zuständige Pfarrer in den Büchern, dass die Kapelle des heiligen Nikolaus nur mit einem Altaristen besetzt ist, welcher die zeitweilige Vertretung des Pfarrers übernimmt.

Beißende Rauchschwaden und das dumpfe Grollen der Kanonen ziehen ein halbes Jahrhundert später erneut durch das Unstruttal. Das Faustrecht ist das einzig geltende. Der sächsische Bruderkrieg (1446 bis 1451) wird auch im alten Hosgau mit unvermittelter Härte geführt. Freyburg und Nebra werden geplündert; zahlreiche Dörfer verwüstet und niedergebrannt.

1464 erwirbt Hans von Selmenitz Vitzenburg als Querfurter Afterlehn. Er erhält für 5.000 Gulden nicht nur die zugehörigen Fluren, sondern auch die Gerichtsdörfer „Litenstedt, (Klein-) Eichstädt, Gelwitz, Pretisch, (Klein-) Wangen und Stachelrode“. Ob letzteres zum Zeitpunkt des Kaufes noch bewohnt war, ist nicht erkennbar. Für die bezeichneten Ortschaften ist es jedoch die erste urkundliche Bestätigung für die zugehörige Gerichtsbarkeit. Deren Ursprung verliert sich zwar in grauer Vorzeit, doch muß sie schon seit langen Jahren bestanden haben. Wie aus alten Schriften erkennbar ist, geht sie selbst  bis auf den Blutbann: „Wenn ein armer Sünder justifiziert werden soll, so haben die Dörfer die Kosten zu tragen.“

Zudem haben sämtliche Gerichtsdörfer im Kriegsfall einen Heerwagen mit 4 tüchtigen Pferden, Schirrmeister und Enken unter sich zu wählen und die Kosten zu tragen. Neben den verschiedensten Rechtsverhältnissen wird auch der „Zehntschnitt“ penibel festgeschrieben. Die Zehntschnitter haben auf 368 Morgen beim Rittergut Vitzenburg und auf 146 Morgen auf dem Vorwerk Birkenschäferei den Schnitt mit der Sichel zu leisten, die erforderlichen Strohseile zu machen, harken, binden und in Mandeln zu setzen. Das Schirmbacher Pfarrdorf untersteht seit alters der Vitzenburger Grundherrschaft und ist bis 1512 Filial der dortigen Johanniskirche.

Im Sommer 1485 kommt es in Leipzig zur Teilung Sachsens, dessen Ergebnis für viele Jahrhunderte die Ordnung des mitteldeutschen Raumes bestimmen wird. Der nördliche Teil des thüringischen Stammlandes fällt an die Albertinische Linie.

Bauernkrieg und Bauernnot

Während Christoph Kolumbus 1492 auf dem Weg in die Neue Welt ist, kommt im Benediktinerkloster Reinsdorf Nikolaus von Siegen an. Doch dem neue Prior gelingt es nicht, die inzwischen verwahrlosten Zustände im Kloster und das verdorbene Mönchtum zu ordnen und er verlässt das Unstruttal nach 37 Wochen. Steigende Lasten an Geldzahlungen, Abgaben und die Beschneidung alter Rechte durch die Landesherren tragen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation dazu bei, dass es keine 30 Jahre mehr dauern soll, dass „der Bauer im Land aufstund“.

Doch zunächst wird 1506 die Eichstädter Pfarre gegründet und Gölbitz dieser zugeordnet. Erzbischof Ernst und der Reinsdorfer Abt Johannes IV. gestattet 1512 Schirmbach die Gründung einer eigenen Pfarrei.

1516 heiratet die einzige von drei überlebenden Töchtern des Hans von Selmenitz, Euphemia, mit 21 Jahren Kaspar Schütz auf Weißenschirmbach. Am letzten Oktobertag des darauffolgenden Jahres schlägt der Theologe Luther seine 95 Thesen zum Disput an die Wittenberger Schlosskirche und damit, für den Reformator selbst überraschend, ein neues Kapitel in den europäischen Geschichtsbüchern auf.

Von den politischen Unruhen noch unbeeindruckt, werden in den Revisionsbüchern von 1520 für Gölbitz 7 zehntpflichtige Bauernhöfe verzeichnet. Die neuen Ideen und das kühne Auftreten Luthers machen jedoch auch vor den Gerichtsdörfern nicht halt. Der Eislebener gewinnt mit seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ den größten Teil des deutschen Volkes für sich.

Hans von Selmenitz ist dagegen im Folgejahr gezwungen, den Vitzenburger Familienbesitz inklusive der Rechtssprechung an Onkel Joachim von Lichtenhayn  für 3000 Gulden zu verkaufen. 

Die Feuer der Reformation züngeln indessen nicht nur im Reich, sondern verbreiten sich wie ein unaufhaltsames Buschfeuer über das ganze Land. Freie wie Unfreie werden von den Reformationsgedanken Luthers erfasst. Adlige wie Leibeigene. So übernimmt der fränkische Reichsritter Florian Geyer die Führung des Tauberhaufens und führt Verhandlungen mit dem Ziel, ein auf Bauern und Bürger gestütztes Reich ohne Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit aufzurichten.  Der Prediger Thomas Müntzer ruft mit seinen Allstedter Entwürfen zur Revolte auf. Der junge Rebell versteht es zu überzeugen und selbst die adlige Felicitas von Selmenitz auf Vitzenburg tritt 1523 zum reinen Evangelium über. Im Frühjahr 1525 ziehen dann auch durch das nordthüringische Becken schwarze Rauchschwaden. Die Situation eskaliert. Zahlreiche Klöster und Burgen werden von den wütenden Bauern verwüstet und niedergebrannt. Auch Äxte aus Gölbitz und Kleineichstädt sind unter den Aufständischen. Memleben und Reinsdorf werden sich von den Übergriffen nie wieder erholen. Die Burg Wendelstein dient Adligen und Beamten in dieser Zeit als sicherer Zufluchtsort. Luther distanziert sich von den Ausschreitungen und setzt sich damit zwischen die Stühle. Rebellische Bauern aus Pretitz, Liedertstädt und Schirmbach ziehen zur Schlacht ins Kyffhäusergebirge – und kehren nie wieder zurück.

Nach der Frankenhäuser Katastrophe am 15.Mai 1525, nimmt der siegreiche Adel blutige Revanche. Der sächsische Herzog Georg der Bärtige gilt als strenger Verwalter der albertinischen Lande und fordert die harte Bestrafung der rebellischen Horden. Erst nach dem Tod des Reformationsgegners 1539 soll es zu notwendigen und wohltuenden Erneuerungen kommen. Für die Bestrafung der Schuldigen im Freyburger Amt zeichnet der herzogliche Amtmann Christoph von Taubenheim verantwortlich. Landesverweisungen, hohe Geldbußen und 14 Tage Frondienst für jeden Untertan „alle Jahr ... auf alle Zeit“ werden vom Verwalter verordnet.

Herrenhöfe und Schulwesen

Nach dem Tode Georg des Bärtigen führt 1539 der Bruder Heinrich auch im albertinischen Sachsen die Reformation ein. Anfang Juni verbietet der „Fromme“ den katholischen Gottesdienst. Im September erfolgt die Kirchenvisitation des Amtes Freyburg, in der sich zeigt „wie sehr das Gebiet ... zurückgeblieben war. Hier war nicht einer der Stadt- und Landpfarrer den billigsten Anforderungen gewachsen“.

Ein Jahr später wird das Amt Freyburg der Diözese Weißenfels unterstellt; 1560 die Superindentur Freyburg begründet, die erst 1828 wieder geteilt werden soll. Trotz aller Reformation bleiben doch einige katholische Gepflogenheiten erhalten. So ist es in den Orten Gölbitz, Schirmbach, Eichstädt und Grockstädt nicht nur guter Wille, den Pfarrer nach der Predigt zur „Mahlzeit zu bitten“, sondern Pflicht. Pastor oder Küster haben das Recht, für kirchliche Handlungen entschädigt zu werden. Die bei Trauungen zugesicherte „Brautsuppe“ besteht 1575 in der Kirchgemeinde Kleineichstädt aus besagter Suppe mit einigen Stücken Fleisch. Dazu kommen noch 3 bis 4 Pfund Fleisch, 1 Sülze, 1 Stück Braten, 2 halbe Kuchen, 1 Brot und hochwichtige 8 Maß Bier.

Die Niederlage des Schmalkaldischen Bundes gegenüber den katholischen Truppen Kaiser Karl V. im April 1547 bei Mühlberg führt zur Auflösung der protestantischen Gemeinschaft. Der Querfurter Kreis fällt an Moritz von Sachsen, der neuer sächsischer Kurfürst wird und den albertinischen Kurstaat aus der Taufe hebt. Nach dem Augsburger Religionsfrieden, in welchem den Protestanten 1555 die Gleichberechtigung ihrer Konfession zugebilligt wird, gönnt sich das Land für einige Jahre Ruhe.

1563 beglaubigt Kurfürst August I. von Sachsen den Brüdern Steffen, Hans und Friedrich von Olsen neben weiteren Gütern den Sedelhof zu Schirmbach und den zu Eichstädt. Letzteren mit 9 Hufen Land und 7 Schock Geldzinsen „wie alles ihr Vater in Lehen gehabt“. Zu der Zeit prägen in erster Linie zwei Herrenhöfe das Gesicht von Schirmbach. Ein Lehen hält Junker Schütz, das andere von Olsen. 1575 tauschen Dietrich von Olsen und Bernhard von Schütz der Ältere ihre Güter. Letzterer erhält so das Kleineichstädter Rittergut. Doch gehört den Olsen’s der Hof aufgrund der oberflächigen Lehnsüberschreibung durch Kurfürst Christian I. formell noch bis 1602. In einem neuen Lehnsbrief wird Kaspar Ulrich Schütz „wie alles hiebevor Dietrich von Olsen unter August I. und Christian I. zu Lehen gehabt und durch desselben Absterben erkaufsweise ... an sich gebracht“ der Hof überschrieben und 1612 durch Kurfürst Johann Georg bestätigt.

Die Voraussetzungen zur Gründung der Volksschulen in Kursachsen sind 1580 alles andere als günstig. Häufig nehmen Schneider, Schuster oder Leinenweber mit geringer Bildung Lehramt und Rohrstock in ihre Hände. „Der Weg zum Schulamt war leicht. Wer notdürftig lesen und schreiben, dazu etwas singen und den Katechismus aufsagen konnte, war willkommen.“ Die formell existierende Schule in Kleineichstädt wird bis 1823 auch von den Gölbitzern besucht. Nach der kirchlichen Vereinigung der zwei Orte am Siedebach gehen die Kinder in Schirmbach zum Unterricht.

Doch noch steht der Unterricht Jahr für Jahr vor dem Kollaps. „In Kleineichstädt geht der Schulmeister dem Trunk und Zechen nach, macht und verkauft Branntwein. Ist ihm bei Pflicht seines Dienstes geboten, wo er’s nicht abschaffen werde, sollte ihm das Branntweinglas genommen werden, welches denn auch geschehen. Hat Besserung zugesagt.“ „Desselben Geistes Kind wie sein Eichstädter Kollege war der Küster Reich in der Nachbargemeinde Weißenschirmbach. Gemeinde und Pfarrer klagen über seinen Unfleiß, da er keine Schule halte, dem Zechen nachgehe, sich des Branntweinmachens befleißige und denselben in der Schule ausmesse (d.h. während des Unterrichts verkaufe). Er ist schon bei der Visitation 1598 ermahnt, will aber nicht ablassen und verzichtet freiwillig auf sein Amt.“ Die Kinder erfahren die roheste Behandlung und so ist es kein Wunder, dass selbst die Besten trotz aller Quälerei in 8 Jahren kaum notdürftig lesen lernen.

Verbrannte Erde und entwurzelte Menschen

Das neue Jahrhundert hält zahlreiche Überraschungen parat. 1600 entdeckt der Leibarzt Elisabeth I. William Gilbert den Erdmagnetismus und beeinflusst damit Johannes Keplers Arbeiten. 5 Jahre später veröffentlicht der Spanier Miguel de Cervantes seinen Ritter Don Quixote.

Doch die fruchtbare Epoche der Reformation neigt sich mit den Jahren der Gegenreformation ihrem Ende zu. Diese zieht das Reich in den folgenden Jahren in einen zerstörerischen Strudel, der 1618 mit dem Prager Fenstersturz einen Tiefpunkt und den Ausbruch zahlloser kriegerischer Handlungen erlebt. Der 30jährige Krieg wird zum Schreckgespenst im deutschen Reichsgebiet. Erst im Jahrhundert der Weltkriege werden die Verluste an Menschen und Gütern im mitteldeutschen Raum übertroffen.

Vorerst allerdings wird dem Junker Bernhard von Schütz die Bewirtschaftung seiner Güter zu viel und er überlässt den Eichstädter Hof der Familie von Görschen als Afterlehen.

Die ersten Kriegsentscheidungen fallen weit von den Vitzenburger Gerichtsdörfern in Böhmen. Doch die Kämpfe kommen immer näher. Die Einquartierung und Verpflegung der Soldaten zieht Krankheit und Verarmung nach sich. 1626 schlagen auch in Weißenschirmbach wütend die Kirchenglocken. Der Tod kommt lautlos und die Pestilenz holt sich ein Viertel der Menschen aus den umliegenden Dörfern. Allein in Querfurt sterben 1400 Menschen. Am 25.April 1626 schlägt der kaiserliche Generalissimus Albrecht Eusebius Wenzel von Wallenstein bei Dessau die Truppen des Grafen Ernst von Mansfeld, Ende August unterliegt der dänische König Christian IV. den Söldnern Johann Graf von Tillys am Barenberge nahe Salzgitter.

Das Kriegswesen hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert. Söldnertruppen übernahmen nach dem Niedergang des Rittertums das Führen von Kriegen. Die kostspielige Ausrüstung und die laufenden Unterhaltung der stetig wachsenden Heere fressen in die Kassen der Landesherren tiefe Löcher. Die bloße Anwesenheit von Truppen zieht selbst für wohlhabende Regionen verheerende Folgen nach sich.

Zur Verteidigung haben die einzelnen Ämter ihrem Landesherrn militärische Unterstützung zu stellen. Für das gesamte Amt Freyburg beträgt diese 3504 Mann, darunter 10 lange Spieße, 410 Rohre, 1197 Hellebarden, 1056 Federspieße, 166 Knebelspieße, 32 Musketen, 44 Äxte, 67 ¼ Pferde und 28 Heerwagen. Spießbürger dienen damals noch zur Verteidigung der herrschaftlichen Besitzungen.

1630 flammen mit dem Eingreifen des schwedischen Königs Gustav Adolfs die Kämpfe erneut auf. Noch im Jahr zuvor wird in Eichstädt von einem Hallenser Meister die Turmuhr für 38 Altschock gefertigt, wozu auch Gölbitz als Filial sein Drittel beiträgt. Mit der Eroberung Magdeburgs durch das kaiserliche Heer Tillys fällt im Mai 1631 eine bedeutende protestantische Stadt in Schutt und Trümmer. Die Einnahme kostet 20.000 Einwohnern das Leben. 375 Überlebende harren in den Ruinen aus. Der Rest flüchtet.

Doch den Feldherrn hält es nicht lange in der Stadt und bereits am 31.Mai zieht General Tilly mit zwei Armeen plündernd und brandschatzend durch Querfurter Gebiet. Aber Tilly’s Kriegsglück wendet sich. Seine Truppen werden von den Schweden im September bei Breitenfeld geschlagen. Nach den ersten schwedischen Reitern folgt die gesamte Armee und lagert zwischen Querfurt und Obhausen. Raub, Misshandlungen und Vergewaltigungen stehen an der Tagesordnung. Mehr denn je gilt in diesen Tagen das Faustrecht. Querfurt steht aufgrund der ständig wechselnden Einquartierungen vor dem Ende. So wird die umliegende Gegend als Freimarkt angesehen. Schweine und Hühner werden geschlachtet, Getreide und Bier konfisziert. Die Einwohner flüchten in die Wälder und verstecken sich. Als die Schweden abrücken, ziehen die kaiserlichen Kürassiere unter Pappenheim nach. Die Übergriffe reißen selbst im entfernten Siedetal nicht ab.

Im Spätsommer 1635 kommt es zum Prager Frieden. Die Kampfhandlungen jedoch gehen weiter. Im März des darauffolgenden Jahres zieht die schwedische Armee durch die Orte. Die Rauchschwaden ziehen wochenlang über die Höhen. Die Bauern, ihrer Lebensgrundlage entzogen, schließen sich den Söldnern an. Im Tross Frauen und Kinder. Andere ziehen zu Verwandten oder bettelnd durch das verwüstete Land.

Die Moral der Truppen lässt im Lauf der Kriegsjahre immer mehr nach. Marodierende Abteilungen tauchen in den Dörfern auf. Ab 1642 ist die Eichstädter Pfarre wegen den Kriegsverwüstungen unbesetzt. Bis 1645 spendet der Weißenschirmbacher Pfarrer Nicolai den Einwohnern Trost und Hoffnung. Doch letztlich verlässt sie auch ihn und er den Ort. Das baufällige Pfarrhaus übersteht trotzdem aller Stürme den Krieg.

Zuständigkeiten, Schicksale und neue Geschichtsschreibung

Nach den Friedensabschlüssen 1648 liegen die deutschen Reichsgebiete zerstört am Boden. Nur wenige Familien retten sich unbeschadet durch die Kriegswirren. Verbrannte und niedergekommene Gehöfte prägen das Bild nicht nur in Schirmbach und Gölbitz. Die Neubesiedelung wird noch Jahrzehnte andauern. Die Vormachtstellung des Hauses Habsburg in Europa neigt sich dem Ende und das Amt Querfurt bleibt noch über sieben Jahre nach Kriegsende von den Schweden besetzt.

1649 erwirbt der Oberstleutnant Hans Heinrich von Heßler das Vitzenburger Anwesen und seine Gerichtsdörfer. Sieben Jahre später fallen die Dörfer an die Herzöge von Sachsen-Weißenfels. 1663 wird das Fürstentum Querfurt gebildet, durch das in den 80er Jahren wieder beißender Pestgeruch weht. Im Januar 1682 wird ein Todesfall in Gölbitz verzeichnet. 12 Monate später sterben die 34jährige Frau des Hans Klaus und die Kinder innerhalb von 14 Tagen.

In der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts werden in Weißenschirmbach weitere Bauernhöfe gebaut.  Nach dem endlosen Ausbluten der vergangenen Jahre gönnt sich das geschundene Land eine Erholungspause.

Die natürliche Ausstattung bestimmt den Lebensrhythmus der Einwohner und bildet ihre Existenzgrundlage: Ackerbau. 1746, die Ära der Aufklärung steht kurz vor ihrem Höhepunkt, wird das Schnitterhaus des Adam Heinrich Schütz fertiggestellt, welches mit seinem großen Dachaufbau noch 250 Jahre später als Wohnhaus dienen soll.

Der Siebenjährige Krieg (1756 bis 1763) verschont, trotz des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs und den damit verbundenen Teuerungen, die kleinen Orte in der Querfurter Mulde mit direkten Kampfhandlungen. Die Dorfkirche mit ihrem achtseitigen Turmaufbau und dem rundbogigem Straßendurchlass wird in jenen Jahren gebaut. Der gotische Chorturm und Chorbereich künden noch Jahrhunderte später von der Verwendung älterer Bauteile.

Zwei Jahre nach Kriegsende, in dem zahlreiche deutsche Soldaten in die nordamerikanischen Kämpfe verkauft wurden, heiratet Johann Christoph Staudte aus Gölbitz in die Familie des Schneiders Elias Loth nach Kleineichstädt und übernimmt dessen Hof. Den Gölbitzern scheinen die jungen Frauen aus dem Nachbardorf nicht gleichgültig zu sein und so zieht der Anspänner Johann Christoph Förster 1771 in das Haus seines Schwiegervaters Johann Christoph Reinboth. Die späten wirtschaftlichen Ausmaße des Siebenjährigen Krieges wirken auch in Weißenschirmbach nach. So wird neben vielen Maßnahmen zur Tilgung der Kriegsschulden im April 1771 der sogenannte Bierpfennig eingeführt.

Als das Kleineichstädter Pfarrgebäude renoviert wird, stürzt Johann Christoph Deckert aus Gölbitz zweimal vom Giebel und stirbt nach 8 Tagen auf dem Krankenlager. Die Trauerglocken kommen nicht zur Ruhe. 1795 überfährt sich der Eichstädter Johann Christoph Müller bei Glatteis in der Nähe von Weißenschirmbach mit seinem Fuhrwerk. Im gleichen Jahr werden die Arbeiten zur Schiffbarmachung der Unstrut beendet. Der Schiffsweg wird bis zum Bau der Unstrutbahn die einzige und Jahre danach noch die wichtigste Verkehrsader des Unstruttales bleiben.

In Frankreich herrscht noch der Absolutismus. Doch treiben die militärischen Abenteuer Frankreich in den Staatsbankrott und am 14.Juli 1789 eine wütende Menschenmasse zum Sturm auf die Bastille. Keine zehn Jahre wird der Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geträumt. An seinem Ende krönt sich der Korse Napoleon Bonaparte selbst zum Kaiser und schreibt in den folgenden Jahren neue europäische Geschichte.

Am 25.Juli 1800 findet auf dem Querfurter Markt die letzte öffentliche Hinrichtung statt. 3 Jahre darauf wird das Geschlecht der Grafen von Schulenburg-Heßler, das nun neben dem Baron von Helldorf auf Zingst das meiste Land ihr eigen nennt, neuer Besitzer der Vitzenburger Güter. Derweil kämpft Napoleon an allen europäischen Fronten, erringt Siege und annektiert Staaten. Der Kaiser ist auf dem Höhepunkt seiner Macht und bestimmt das politische Geschehen auf dem Kontinent. Der Code Civil wird im März 1803 eingeführt. Im Dezember 1805 schlagen seine Truppen bei Austerlitz (heute der Ort Slavkov in der Nähe von Brünn) Österreicher und Russen. Im folgenden Sommer löst Napoleon mit der Gründung des Rheinbundes das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf und führt im Herbst seine Armee nach Osten.

Am 13.Oktober 1806 reiten durch Oberschmon die ersten französischen Jäger in Richtung Thüringen.

Französische Besatzung, wirtschaftlicher Ruin und 1813

Napoleon befindet sich an diesem Donnerstag bereits in Jena. In der Nacht trifft das Reiterregiment mit weiteren  Reserveeinheiten ein und am Morgen des 14.Oktober stehen 53.000 preußische und sächsische Soldaten der 55.000 Mann starken Armee unter französischem Kommando gegenüber. Die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt endet als Desaster für die starre preußische Kampftaktik und geht als grandioser Sieg des Korsen in die Geschichte ein. In den folgenden Tagen flüchten die geschlagenen Truppen Richtung Norden. Doch das 60.000 Mann starke Korps unter Bernadotte, dem Prinzen von Ponte-Corro, folgt den Truppen dicht auf den Fersen und rückt am 16. in Querfurt ein. Die umliegenden Dörfern – auch am Siedebach – werden wieder gebrandschatzt und am Abend gibt der französische Prinz die Stadt Querfurt zur Plünderung frei.

Nach dem Frieden von Tilsit 1807 fällt das Amt Freyburg unter französische Zuständigkeit. Die europäischen Kriege und nationalen Erhebungen kosten dem Kaiser Soldaten und so entreißen die fortwährenden Rekrutierungen die letzten wehrfähigen Männer ihren Angehörigen. Die wenigsten werden ihre Heimat wiedersehen. Zahlreiche Männer fliehen in die Ziegelrodaer Wälder. Die französische Besatzung unterdessen sorgt dafür, dass die deutschen Kleinstaaten ein neues Nationalbewußtsein entwickeln.

Am 01.Juli 1811 verwüstet keine marodierende Truppe die Saat in der Querfurter Mulde, sondern ein schweres Hagelwetter. Die Nahrungsversorgung der Menschen verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.

Im Spätsommer 1812 eröffnet Napoleon ohne Kriegserklärung den Kampf gegen Russland. Doch das Kriegsglück verlässt den Franzosen in Moskau und die „Große Armee“ kurz vor Wintereinbruch die besetzte russische Hauptstadt. Der „Übergang über die Beresina“ endet als Katastrophe. Tausende halb erfrorene und zerlumpte Soldaten, unter ihnen auch Sachsen und Rheinländer, flüchten Richtung Westen. In den darauf folgenden Monaten wechseln kleine Scharmützel mit Schlachten ab, die ihren Höhepunkt in der Leipziger Völkerschlacht finden werden.

Im Februar 1813 gründet der preußische Offizier Freiherr von Lützow das Lützowsche Freikorps. Wie der Eichstädter Schneider Christian Zahn werden zahlreiche Kämpfer zu den Veteranen der Befreiungskriege zählen. Franzosen, Kosaken, Russen, Würtemberger, Preußen und Bayern; Gefangene und Verwundete beziehen den Sommer über wechselseitig Quartier in den Dörfern des Freyburger Amtes.

Der 21.Oktober 1813. 4 Tage zuvor stehen über eine halbe Million Mann bei Leipzig in einer Schlacht, welche die größte in der Geschichte ist und mit der entscheidenden Niederlage Napoleons endet – und der Flucht der französischen Armee. Diesmal werden sie von den Truppen des preußischen Feldmarschall Yorck verfolgt. In den frühen Morgenstunden des 19.Oktober beginnen französische Pioniere Notbrücken über die Unstrut bei Freyburg zu schlagen. Als Napoleon am 20.Oktober die Stadt an der Unstrut erreicht, leitet er selbst den geordneten Rückzug seiner Truppen.

Sie erinnern sich? Das dumpfe Grollen der Kanonen weht an diesem Donnerstag auf den Eichstädter Höhenzug herüber. Dumpf und drohend. Doch die Reiter, die am Nachmittag den Höhenzug entgegenreiten, sind keine französischen. Sie gehören zum Corps der verbündeten Preußen, Russen und Schweden. Ihnen scheint der Eichstädter Höhenzug strategisch günstig gelegen und so halten sie zwischen Kleineichstädt und Gölbitz Biwak. Die naheliegenden Gehöfte werden geplündert. Schweine und Hühner, Bier und Getreide werden von den siegestrunkenen Soldaten konfisziert. Die französisch besetzten Dörfer liegen in Feindesland und Misshandlungen und Vergewaltigungen gehen mit den Plünderungen einher. Dem Widerstand der Bauern begegnen die Reiter mit dem blanken Degen. Der Gerichtsschöppe Christoph Müller wird schwerverletzt niedergestreckt.

Am Neujahrstag 1814 setzen die letzten Franzosen über den Rhein, Napoleon dankt am 6.April ab und wird nach Elba verbannt. Die Neuordnung Europas erfolgt ohne ihn auf dem Wiener Kongreß.

Unter preußischer Krone, Umpfarrung und wirtschaftlicher Aufschwung

Am 18.Mai 1815 fällt aufgrund des Wiener Friedens der Querfurter Kreis wie viele andere ehemals kursächsische Gebiete an die preußische Krone. Am 3.August huldigt das gesamte Herzogtum in Merseburg dem neuen Souverän. Trotz heftiger Kritik ist es den Wiener Beschlüssen zu verdanken, dass Europa bis zum Krimkrieg 40 Friedensjahre gesichert werden.

1816, gründet die königlich preußische Regierung an einem kühlen 01.Oktober, den landrätlichen Kreis Querfurt, dem unter anderem auch die Orte Freyburg, Wendelstein und Nebra angehören. Als 1822 die Umpfarrung von Gölbitz und Grockstädt vollzogen wird, geht eine Ära zu Ende. Gölbitz ist bis zu diesem Jahr kirchlich mit Kleineichstädt verbunden. Beide Orte liegen unter der Vitzenburger Gerichtsbarkeit. Bereits unter französischer Besatzung 1812, als das Kleineichstädter Sprengel durch den Chemnitzer Pfarrer Johann Gottlieb Rudolf Coith neu besetzt werden soll, trägt die Gemeinde Gölbitz auf Ablösung vom Pfarramtsverband – erfolglos.

Doch eine Beschwerde der Bewohner der Birkenschäferei lässt den Fall zehn Jahre später wieder aufrollen. Diesmal ist es der Widerstand der Kleineichstädter, der erfolglos bleibt. Am 11.April 1822 genehmigt die königliche Regierung zu Merseburg den Tausch der Pfarrdörfer Gölbitz und Grockstädt. Letzteres wird von der Unterkirche Weißenschirmbach getrennt und Kleineichstädt zugewiesen. Die Grockstädter Gemeinde ist trotz anfänglicher Skepsis zufrieden mit ihrem neuen Pfarrer Coith und schenkt im zum Weihnachtsfest „einen eleganten Priesterrock“.

Seit der ersten Weltumseglung sind 300 Jahre vergangen; die Erde ist keine Scheibe mehr und im 19.Jahrhundert verschwinden die letzten weißen Flecken auf den Landkarten. Während sich die Kleineichstädter Familie Spieler Mitte des Jahrhunderts in Cooper County im Staat Missouri eine neue Heimat aufbaut, begibt sich 1860 der Dresdner Heinrich von Maltzan auf seine geheime Wallfahrt nach dem verbotenen Mekka.

Am 22.Juli 1864 vernichtet Hagel innerhalb von 5 Minuten zahlreiche Getreideflächen und Weinberge. Im Jahr darauf beweist  der Stellmachermeister Gottfried Löhne mit dem Bau des Gutes Nr.29., das Kleineichstädt für die Weißenschirmbacher attraktiv bleibt.

Als 1866 der Deutsche Krieg ausbricht, werden auch junge Männer aus Schirmbach und Gölbitz dienstverpflichtet. Bei dem ostböhmischen Königgrätz (heute Hradec Králové) siegen die preußischen Truppen Anfang Juli über die verbündeten Österreicher und Sachsen.

3 Jahre nach dem schweren Hagel verwüstet ein neues Unwetter im August die Obstbäume in der Querfurter Mulde.

Die Dreifelderwirtschaft bestimmt seit 1000 Jahren die Bewirtschaft der deutschen Böden. Das 19.Jahrhundert birgt zahlreiche Veränderungen. In dessen 2.Hälfte erlebt die Landwirtschaft einen bedeutenden Aufschwung durch tiefgreifende Neuerungen wie künstliche Düngung und Tiefpflügung. Die Besitzungen des Rittergutes Eichstädt vergrößern sich von Jahr zu Jahr. Das Dorfbild prägt besonders Friedrich Wilhelm Anton Hübner, der das Gräflich-Schulenburgische Rittergut Eichstädt vom Gut Weißenschirmbach aus bewirtschaftet. Zur Einweihung des neuen Kleineichstädter Gottesacker lässt der Pächter am 14.11.1868 zwei Kinderleichen von Weißenschirmbach überführen. Nach der Fertigstellung des neuen Herrenhauses siedelt der Amtmann 1868 über, stirbt aber 1 ½ Jahre darauf an einem Novemberfreitag.

1870/ 71 steht Deutschland mit Frankreich in einem Krieg, nach dessen siegreichem Ende die Einigung Deutschlands zum Abschluß kommt und das deutsch-französische Verhältnis auf Dauer belastet sein wird. In den Dörfern wird das Kriegsende mit gewachsenem Nationalstolz gefeiert. Denkmäler erinnern an die Söhne und Väter, die für das neue Vaterland auf den Schlachtfeldern bleiben. Am Siedebach wird wie in anderen Orten eine Friedenseiche gepflanzt. Doch ist es das Kriegsende von 1945, welches die Gölbitzer Eiche nicht überstehen wird.

1873 werden die Wegverhältnisse zwischen Gölbitz und Kleineichstädt mit Kopfsteinpflaster drastisch verbessert. An einem hochsommerlichen Julimorgen 1874 zieht wie so oft ein schweres Hagelwetter über die Gegend und zerschlägt nicht nur zahlreiche Kirchenfenster.

Technischer Anschluß, Lebensmittelgeschäfte und Einberufung

Am 03.Januar 1876 wird in Guben Wilhelm Pieck geboren, der als erster Präsident der DDR für Weißenschirmbach eine besondere Bedeutung erlangen soll. Das Freyburger „Rotkäppchen“ indessen erlangt nach der ersten Reichstags-Weinprobe 1878 überregionale Bedeutung. Keine zehn Jahre später zieht die Reblaus auch durch die Weinberge im nördlichsten Anbaugebiet und stellt die Winzer an den Rand ihrer Existenz.

Mit der Eröffnung der Bahnstrecke Naumburg - Artern am 01.Oktober 1889 zieht die moderne Technik ihre Dampfwolken durch das Unstruttal. Nach der Einweihung der Querfurt - Vitzenburger Eisenbahn 1904 steht es Weißenschirmbachern  und Gölbitzern frei, zwischen den Bahnhöfen Grockstädt oder Vitzenburg zu wählen. Beide liegen gleichweit eine halbe Wegstunde entfernt.

Ein Jahr nach der Gründung des Köthener Polytechnikums, das als Basis für die spätere Hochschule dient, erscheinen 1892 die ersten Berichte des Professor Hermann Größler über das Unstruttal in den Mitteilungen des Vereins für Erdkunde Halle a.S.

Preußisch-nüchterne Beamte ordnen Weißenschirmbach dem Amtsbezirk 11 zu. Roter Strumpf, Gasse und Langes Haus unterstehen als Arbeiterwohnungen dem Rittergut. 2 Bäckereien, 3 Lebensmittelgeschäfte, 1 Fleischer, 2 Schuhmacher und 3 Wassermühlen versorgen das Dorf. In erster Linie prägt das Rittergut mit seinem Pächter, dem Gesinde, Schnittern und Tagelöhnern das Dorfbild. Dazu kommen 5 Großbauern und 5 Kleinbauern. In der Dorfschenke „Zum Goldenen Lamm“ treffen sich die Schafzüchter regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Gölbitz hält als selbständige Gemeinde mit einer Bäckerei, 4 Großbauern und einer Schenke dagegen.

Im Herbst 1908 begibt sich Karl May auf seine erste und einzige Amerikareise. 6 Jahre später eskalieren die europäischen Spannungen und gipfeln in einem Krieg, der die gesamte „zivilisierte“ Welt erfasst und später nur durchnummeriert wird. Was bleibt zu berichten? Auch aus Weißenschirmbach und Gölbitz ziehen die Soldaten in die Stellungsschlachten der Somme oder nach Verdun. Nach dem Kriegsende trauern die Angehörigen und Kriegsvereine ehren die Gefallenen mit weiteren Denkmälern. Zu Dutzenden. Oberhalb von Pretitz wird ein Denkmal aus weißem Sandstein errichtet. Weißenschirmbacher und Pretitzer Helden finden darauf genauso namentlich Platz wie Vitzenburger und Liederstädter. Doch das weithin sichtbare Denkmal ist dem Verfall preisgegeben. Stark verwittert sind die Inschriften heute nur schwer zu erkennen und das Deckengemälde ist wie die rote Schrift verschwunden.

Der „Schwarze Freitag“ findet 1929 an einem Donnerstag statt und stürzt die Welthandelsstaaten in eine tiefe Wirtschaftskrise, die bis 1933 anhält. Trotzdem wird an der Quelle des Siedebachs 1930 das Gruppenwasserwerk Weißenschirmbach – Pretitz – Vitzenburg – Liederstedt fertiggebaut. Doch der anhaltende wirtschaftliche Niedergang im niedergehenden Deutschland zwingt zahlreiche Familien zum Auswandern.

Im Juni 1934 erlangen die 483 PS starken Silberpfeile von Mercedes auf dem Nürburgring unsterblichen Ruhm. Im Jahr darauf verliert der Siedebach beim Zusammenschluß von Gölbitz und Weißenschirmbach seine Bedeutung als jahrhundertealter Grenzbach. Im gleichen Jahr, am 30.Juni, wird die Freiwillige Feuerwehr im Ort gegründet.

1939 beginnt mit dem fünfwöchigem Polenfeldzug der 2.Weltkrieg. Bereits während der ersten Kriegsjahre werden in Weißenschirmbach einzelne Flüchtlinge untergebracht. Das Kriegsblatt wendet sich. Im Sommer 1944 bricht im Osten die deutsche Front zusammen. Mit der russischen Offensive steigt die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ostdeutschen Siedlungsgebieten rapide an. Am 28.Januar 1945 scheitert die letzte deutsche Gegenoffensive im Westen. Keine 3 Monate später ziehen Verbände der amerikanischen Streitkämpfe durch das Unstruttal. Als in Weißenschirmbach das Herannahen der Amerikaner bekannt wird, wird auf dem Kirchturm die weiße Fahne gehisst. Doch die Amerikaner müssen die Gegend, die gemäß den Verträgen von Jalta unter sowjetische Hoheit fällt, im Sommer räumen. 

Der Krieg reißt tiefe Lücken in viele Familien. Manche werden nie geschlossen, andere erst nach Jahren mit der Rückkehr der Soldaten aus der Gefangenschaft gefüllt. Der Strom der Flüchtlinge reißt indessen nicht ab.

Notstand, Flüchtlingsfamilien, Bodenreform und wirtschaftliche Blüte

Um die aufkommende Wohnungsnot in den Griff zu bekommen, muß die Unterbringung der Familien, die Hab und Gut in Siebenbürgen, Schlesien oder der sudetendeutschen Heimat verloren haben, koordiniert werden. Eine schwierige Aufgabe für Bürgermeister Gustav Blümel, da die Heimatlosen nicht immer mit offenen Armen empfangen werden. Schwere Zeiten nicht nur für Weißenschirmbach. Die Not der Nachkriegsjahre treibt selbst Weißenfelser und Hallenser aufs Land. Ein Fahrrad für einen Sack Getreide. Später bestimmen Lebensmittelkarten den Alltag. Doch die landwirtschaftliche Ausrichtung des Dorfes ist sein Vorteil. Die Menschen verdingen sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft oder finden im nahen Forst Arbeit. Orson Welles schreibt 1949 seinen Roman „Der dritte Mann“ und am 7.Oktober wird die DDR proklamiert.

„Junkerland in Bauernhand“. Mit der Bodenreform ändert sich auch das Ortsbild Weißenschirmbachs. Die landwirtschaftlichen Flächen werden aufgeteilt; Siedlungshäuser entstehen. Maschinenausleihstationen – MAS – bieten den Bauern die Möglichkeit einer gemeinsamen Nutzung schwerer Maschinentechnik zur effektiven Bewirtschaftung der Felder.

Ab 1952 wird nach dem Vorbild sowjetischer Kolchosen der Grundbesitz von Privatbauern in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften – LPG’n – zusammengeschlossen. Doch der Verlust der eigenen Scholle und der Bruch mit der Tradition ist für viele Bauern nicht akzeptabel. Der unabwendbaren Zwangsenteignung entziehen sich auch Schirmbacher Bauern durch Flucht in den Westen.

Für die Umsetzung der Idee von der „Klasse der Genossenschaftsbauern“ wird seit der Gründung der ersten LPG’n mit den unterschiedlichsten Argumenten geworben. Zudem werden den Genossenschaftsbetrieben von staatlicher Seite alle möglichen Vergünstigungen gewährt. Weißenschirmbach steuert in diesen Tagen auf einen Höhepunkt seiner Geschichte zu, den es so nie wieder erreichen soll.

Der Ort entwickelt sich in den jungen Jahren der neugegründeten DDR zu einem Vorzeigedorf. Im Zuge der Umstrukturierung werden die jahrhundertealten Scheunen des Rittergutes niedergerissen, das Gemeindehaus gebaut, Landwarenhaus und LPG-Verwaltung. In den Räumen des Inspektorhauses wird die Schule untergebracht und frischgebackene Neulehrer unterrichten 4 Klassen gleichzeitig. Am westlichen Rand von Weißenschirmbach entsteht nach den modernen Erkenntnissen der Zeit das weitläufige „Schweinedorf“. Anfang 1952 bemüht sich ein Gremium unter Vorsitz des Meisterbauern Gerhard Bode um Kontaktaufnahme mit dem ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Mit Erfolg. Die Leistungen der Genossenschaftsbauern überzeugen und im Juli 1952 wird die LPG „Wilhelm Pieck“ feierlich gegründet. Im gleichen Jahr kommt es zur Neugliederung des Kreises Querfurt und zur Gründung des Fußballclubs „BSG Traktor Weißenschirmbach“. „Bau auf – Bau auf“ wird zum neuen Slogan einer jungen Republik und im Ort am Siedebach übernimmt der Staatspräsident symbolisch die Patenschaft in kinderreichen Familien. Im August 1954 wird das Kulturhaus eingeweiht, in dem neben Modenschauen auch zahlreiche Jugendweihefeier bis in die letzten Jahre des real existierenden Sozialismus abgehalten werden. Die verschiedensten kulturellen Veranstaltungen bilden Mittel- und Höhepunkt des Dorfes. Die staatlichen Subventionen fallen in Weißenschirmbach großzügig aus. Die Gebäudekomplexe werden erweitert, eine Wäscherei wird ebenso wie eine Hopfendarre gebaut. Hell leuchtend ist der Rote Stern auf dem Dach selbst in der Nacht noch weithin sichtbar. Aufgrund des immensen Hopfenanbaus macht sich die Anschaffung einer englischen Erntemaschine bezahlt.

Bevor am 28.Dezember 1954 zum 2.Mal der LPG die Wanderfahne des Ministerrates von dessen Vorsitzenden Paul Scholz überreicht wird, kommt es im letzten Quartal zum Brand in der Grundmühle zwischen Schirmbach und Pretitz. Doch der Schaden an der Scheune kann schnell eingedämmt werden. Die Brandursache wird jedoch, trotz eindeutiger Zeitungsmeldung, noch Jahre später von den Einwohnern bezweifelt.

In den 60er Jahren erlebt der Kalte Krieg seine Blüte. Der Amerikaner Francis G.Powers wird am 01.05.1960 mit seinem Spionageflugzeug vom Typ Lockheed U2 über sowjetischem Hoheitsgebiet abgeschossen und in Weißenschirmbach ist die LPG die einzige Produktionsstätte des Ortes. Doch die Leute sind schon früh flexibel. Aufgrund des Industriemangels der Gegend werden die Arbeitskräfte ebenso wie die Wirtschaftgebäude anderweitig ausgelastet. Konsumgüter oder Indianermalerei „made in Weißenschirmbach“ oder Vorfertigung für das Fernsehwerk Staßfurt gibt den Menschen Arbeit im Ort.

LPG „Wilhelm Pieck“, Dorferneuerungsprogramm und ostdeutsches Wendeschicksal

Das Leben in Weißenschirmbach wird von der Landwirtschaft bestimmt. Tier- oder Pflanzenproduktion. Der Alltag läuft routiniert ab. Kreisdelegiertenkonferenzen und Fünfjahresplan wechseln mit Wanderpokalen. Die Genossenschaft dient immer wieder gern als Paradebeispiel wirtschaftlichen Handelns. Im August 1965 gelingt den Rolling Stones der endgültige Durchbruch mit „I Can’t Get No Satisfaction“. Die Schulen der umliegenden Ortschaften werden zusammengeschlossen und Schirmbacher Kinder fortan in die Vitzenburger POS gefahren.

Anfang der 70er Jahre wird der Betrieb der letzten Wassermühle am Neumarkt 13 eingestellt. Ebenso der des Friedhofs in Gölbitz. Künftig werden Weißenschirmbacher und Gölbitzer gemeinsam bestattet. Im Frühjahr 1988 werden oberhalb des Siedbachs Skelettreste und Scherben gefunden, welche die Existenz von Stachelroda bestätigen.

Nach der politischen Wende 1989 erlebt das Dorf, in dem zu DDR-Zeiten 70% der Einwohner von der Landwirtschaft lebten, einen ökonomischen Kollaps, von dem es sich nicht erholt. 1992 fällt Weißenschirmbach in das Dorferneuerungsprogramm. Noch ist der Ort voller Hoffnung. Junge Familien bauen neue Häuser auf dem Land. Die Siedlungshäuser werden renoviert, um- oder ausgebaut. Doch aufgrund der ungünstigen Verkehrslage liegt das Dorf unerreichbar weit für zugkräftige Investoren. Kleine Handwerksbetriebe werden eröffnet – und geschlossen. Weißenschirmbach ist kein Einzelfall. Das Schema ist bekannt und wiederholt sich in vielen Dörfern. 1992 wird nach einstweiliger Sicherstellung das Naturschutzgebiet „Stachelrodaer Tal und Lohdorn“ mit seinen offenen Buntsandsteinbrüchen als solches bestätigt.

Das Erbe der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften strukturiert sich um. Die Stallungen am westlichen Dorfrand werden geschlossen oder anderweitig genutzt. Die Verwaltungsgebäude stehen sich mit zerschossenen Fenstern kaputt. Im ehemaligen Rittergut bricht das Dach ein und bildet seit Jahren einen Anblick, der nicht nur die Anwohner betrübt.

Trotz der wirtschaftlichen Misere engagieren sich die Einwohner im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Der Fußballclub dient neben dem sportlichen Engagement als Kontaktstelle Nummer Eins. 1999 wird er in „SPVgg Weißenschirmbach“ umbenannt. Die nicht mehr so ganz aktiven Einwohner treffen sich zum Plausch im Clubraum der Gemeinde. Auch wenn immer mehr Einwohner ihre Heimat verlassen, wird über einzelne Maßnahmen oder Personen versucht, das Gemeinschaftsgefühl des Dorfes aufrecht zu erhalten.

Die Pumpstation im oberen Teil des Stachelrodaer Tals wird geschlossen. Das Trinkwasser wird nun aus den entfernten Harzquellen eingespeist. Der Hopfenanbau rentiert sich nicht mehr und bereits Anfang der 90er Jahre werden die letzten Hopfenstangen zersägt. Auf alten Postkarten ist der Glanz des von der Landwirtschaft geprägten Dorfes zu spüren. Der Begriff „Essen auf Rädern“ erhält auch in Weißenschirmbach eine neue Bedeutung, wenn die verschiedenen Händler klingelnd durch die Straßen ihrer Kundschaft entgegenfahren. Die ehemals arg vernachlässigten Gebäude der Birkenschäferei, in denen teilweise Schafe untergebracht waren, befinden sich seit Mitte der 90er Jahre in Privatbesitz und werden nach und nach wieder hergerichtet. Nach wie vor liegt der Ort weit von der Wirtschaft entfernt. Eine effektive touristische Erschließung ist schwer.

In Weißenschirmbach endet die Straße. Doch die Welt ist mobil geworden. Für den Ort mit seiner tausendjährigen Vergangenheit bleibt wie für andere Ortschaften auch zu hoffen, dass den Verantwortlichen ökonomisch nachhaltige Maßnahmen gelingen, die auch den Einwohnern entgegenkommen. Die erste Krisenzeit ist es nicht, welche das Dorf in der Querfurter Mulde erlebt – und sicherlich auch nicht die letzte.

SCHLUSS